Tagelange starke Regenfälle, stürmischer Wind, Nebel und Temperaturen im einstelligen Bereich sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine Motorradtour. Schon gar nicht, wenn diese nach Wildhaus führt. Diese Gemeinde hat nicht nur die höchste Postleitzahl der Schweiz, sie liegt auch über 1000 Meter hoch zwischen dem Säntis- und dem Churfirstenmassiv. Da gehören Kurven und Spitzkehren zum Straßenbild – bei schönem Wetter ein Hochgenuß, bei Regen und Sturm ein Husarenritt.
Ich sags ganz ehrlich: es war kein Vergnügen! Von den berühmten Gipfeln habe ich mehr geahnt als gesehen, der Wind drückte mich mehr als einmal fast von der Straße, die Regenkombi hielt dem Wetter kaum noch stand und die ständig klammen Finger erschwerten das Bremsen und Kuppeln ungemein.
Und dennoch – ich habe all diese Umstände sehr gern und ohne zu zögern in Kauf genommen. Denn der Mann, mit dem ich verabredet war, hat noch viel mehr auf sich genommen und schier Übermenschliches geleistet, um seinen Traum zu verwirklichen.
Peter Diener (*1929) stand am 13. Mai 1960 gemeinsam mit 5 seiner Expeditionskollegen auf dem Gipfel des Dhaulagiri und ist dadurch als Erstbesteiger des über 8000 Meter hohen Eisriesen in die Geschichte eingegangen!
Dieses Jubiläum jährte sich vor einigen Wochen zum 65. Mal. Und genau aus diesem Grund habe ich mich auf den Weg gemacht, um Peter zu seinem Jubiläum zu gratulieren und ihm meinen Respekt zu erweisen.
In einer Zeit, in der zweifelhafte Influencer hofiert und viele ‚Abenteuer‘ nur noch virtuell erlebt werden, ist es für mich eine Herzensangelegenheit und ein tiefes Bedürfnis, solche wahrhaftigen Leistungen in Erinnerung zu bringen. Peters Erfolg ist zum großen Teil geprägt von Leidensbereitschaft, eisernem Willen, Disziplin und Verzicht. Dies alles mit aus heutiger Sicht bescheidenen Mitteln, ohne Hightech-Ausrüstung und Funktionskleidung.
Aufgeregt wie ein Teenager stand ich triefend vor Nässe vor Peters Tür. Als diese geöffnet wurde und ich diesem besonderen Menschen gegenüberstand, fühlte ich mich vom ersten Moment an herzlich willkommen. Peter freute sich sehr über meine Glückwünsche und über die Grußbotschaft des Wilthener Bürgermeisters, die ich nebst hochprozentiger Köstlichkeiten mit im Gepäck hatte.
Das gemütliche Haus des gebürtigen Oberlausitzers ist gefüllt mit traditionellen Gegenständen seiner Wahl-Heimat und mit vielen Erinnerungsstücken an sein Leben und seine Abenteuer. Über dem Kamin hängen neben dem Gipfel-Foto verschiedene Auszeichnungen, Medaillen und ganz präsent sein Pickel mit der Schweizer Flagge. Im Flur stehen die Stiefel aus Elchfell, die Peter über mehrere Monate lang ununterbrochen (manchmal sogar nachts) am Dhaulagiri getragen hat – ganz so, als wollte er bald schon zu einer neuen Bergtour aufbrechen.
Peters Schwester, seine Tochter, Schwiegertochter und Nichte waren auch alle gekommen, um den Nachmittag gemeinsam bei Kaffee, hausbackenen Apfelkuchen und spannenden Gesprächen zu verbringen. Natürlich waren mir ein paar Fakten von Peters Himalaya-Tour bekannt, aber diese aus seinem Mund zu hören, ist nochmal etwas ganz Anderes. Dazu kamen noch viele Details und Episoden, die mich überraschten und staunen ließen.
Um die aufwendige Expedition zu finanzieren, standen den Bergsteigern nicht ansatzweise die Möglichkeiten zur Verfügung, die es heutzutage gibt. Also mussten sie sich etwas einfallen lassen. Sie ließen 15.000 Postkarten mit dem Bild des Dhaulagiris drucken, die sie als Gegenleistung für eine Spende nach erfolgreicher Besteigung des Berges in Nepal signieren, frankieren und von Kathmandu aus versenden wollten. 15.000 Karten!!! Für mich unvorstellbar…
Auch die Anreise nach Nepal war schon ein Abenteuer für sich. Diese sollte mit dem Prototyp des Pilatus Porter erfolgen, der erst ein knappes Jahr zuvor gebaut und auf den Namen ‚Yeti‘ getauft wurde. Das Besondere an diesem Propellerflugzeug war die Rad-Kufen-Kombination, damit eine Landung sowohl auf festem Boden als auch auf Schneefeldern möglich war. Ursprünglich war geplant, mit diesem Flugzeug das Material zu einem Höhenlager zu bringen. Aber der ‚Yeti‘ verunglückte (zum Glück ohne menschliche Verluste) in den Bergen und machte einen überaus mühsamen Materialtransport zu Fuß erforderlich…
Geschichten über Geschichten, die ich in den wenigen Stunden nicht mal ansatzweise erfassen konnte. Deshalb freue ich mich umso mehr, dass ich diese bald in aller Ausführlichkeit in dem Buch des Expeditionsleiters Max Eiselin ‚Erfolg an Dhaulagiri‘ nachlesen kann.
Die Zeit verging wie im Fluge. Ich habe die herzliche Gastfreundschaft von Peter und seiner Familie sehr genossen und nehme die Einladung auf einen weiteren Besuch selbstverständlich gern an. Es gibt noch viel zu erzählen. Zum Abschied bat ich Peter um ein Autogramm auf meine ‚Lady‘, damit es mich stets an die Begegnung mit diesem so erfolgreichen und bodenständigen Menschen erinnert und mich auf meinen zukünftigen Touren motiviert.