Das gute Geschäft mit dem schlechten Gewissen

Noch vor einem halben Jahr hätte ich nicht an einer bettelnden Mutter mit ihrem Kind oder an einem Leprakranken mit verstümmelten Gliedmaßen vorbei gehen können, ohne ihnen ein paar Rupien zuzustecken. Heute ist das anders.

Bei den Recherchen zu Hilfsbedürftigen und Notleidenden habe ich vieles hinterfragt, denn es ist mir äußerst wichtig, das mir anvertraute Geld sinnvoll und verantwortungsbewußt einzusetzen. Ich bin sehr froh, dass ich hier Freunde vor Ort habe, die mir dabei helfen, dies zu beurteilen und mich ganz offen über Mißstände aufklären.

Bei meiner letzten Reise sprach mich eine ärmlich gekleidete Frau mit einem Baby auf dem Arm an. Sie wollte kein Geld von mir, sondern bat darum, mit ihr in einen Markt zu gehen und dem Kind etwas Milch zu kaufen. Froh darüber, dass ich so unkompliziert helfen konnte, betraten wir den nächsten Laden. Noch bevor ich die Verkäuferin nach Milch und Brei fragen konnte, steuerte die Mutter auf ein Regal mit Trockenmilch zu und griff sich den größten Karton. Ich erkundigte mich vorsichtshalber nach dem Preis. Ups… knapp 20 Euro umgerechnet. Soviel Geld hatte ich gar nicht mehr einstecken und gab der Mutter zu verstehn, dass ich doch etwas anderes für ihr Baby kaufen könnte. Sie bestand auf Trockenmilch und so kaufte ich ihr ein kleines Päckchen. Irritiert verabschiedete ich mich und verließ den Laden.

Heute weiß ich, dass diese Masche schon länger und auch sehr erfolgreich praktiziert wird. Die Mütter gehören zur Bettelmafia und stecken mit den Händlern unter einer Decke. Die sehr teure Trockenmilch wird dann einfach wieder in den Laden zurückgebracht, wo sie auf einen neuen leichtgläubigen Kunden wartet.  Die wirklich hilfsbedürftigen Kinder bekommen davon nichts ab. Oft sogar sind es nicht einmal die eigenen Kinder der Frauen, sondern wurden irgendwo aufgelesen.

Nach dem gleichen Muster läuft auch das Geschäft mit Schulheften ab. Gerade in dörflichen Gegenden werden oft Touristen von Kindern angesprochen, ob sie ihnen nicht ein paar Schulhefte oder Stifte kaufen würden. Na klar, das tut man doch gern. Und auch diese Schulmaterialien sehen niemals eine Schultasche von innen, sondern werden kurz darauf wieder ins Geschäft zurückgebracht.

Bettelnde Kinderhorden an großen Straßenkreuzungen sind auch keine Seltenheit. Wenn man diese eine Weile beobachtet, bemerkt man ein sich ständig wiederholendes Muster. Die Älteren von denen sondieren die Taxen, wo Touristen drin sitzen, und weisen die jüngeren darauf hin. Diese wuseln sich durch die stehende Autoschlange zu den entsprechenden Vehikeln und betteln auf eine herzerweichende Art, solange, bis der Verkehr wieder anrollt. Dann ist die andere Richtung dran. Oft schnüffeln die Kinder Leim und sind dadurch in einer recht aggressiven Stimmung.

Aber es kommt noch schlimmer. Als ich bei meiner ersten Reise ein von Mutter Theresa gegründetes Altersheim besuchte, haben sich die Bilder von Lepra-Kranken in meinen Kopf gebrannt. Hände, die nur noch aus einem mit Haut überzogen Klumpen bestehen… Beinstümpfe, die knapp unterhalb des Knies in einem eitergetränkten Lappen enden… entstellte Gesichter, denen oftmals die Nase und andere Knochenpartien fehlen… Hier wußte ich aber, dass für diese Menschen gesorgt wird, um ihnen ein ansatzweise würdiges Leben zu ermöglichen.

In Kathmandu sehe ich immer wieder Lepra-Kranke mitten auf dem Fußweg. Auf einem alten schmutzigen Reissack hocken diese bedauernswerten Menschen und strecken den Vorübereilenden ihre verstümmelten Arme entgegen. Ich habe mich oft gefragt, wie diese Menschen ohne Hilfe überhaupt dorthin kommen. Auch auf diese Frage habe ich nun eine Antwort erhalten: Sie werden von ihren ‚Zuhältern‘ frühmorgens dorthin gekarrt und abends mitsamt dem erbettelten Geld wieder eingesammelt. Das ist so furchtbar!!!

Bisher habe ich immer ein paar Rupien in die Blechbüchsen geworfen, ich kann einfach nicht anders. Das tut schon genug weh, die Krüppel so zu sehen. Nicht zu wissen, wie man ihnen wirklich helfen kann, zermartet mich. Ich werde das nächste Mal einfach ein paar Bananen mitnehmen. Die kann ich schälen und die können auch ohne Finger gut gehalten werden. So haben die Menschen wenigstens etwas zu essen.

Leider kommt man gegen diese Bettelmafia nicht an, erst recht nicht als Ausländerin. Aber ich versuche natürlich weiter, Kontakte zu knüpfen und mich umzuhören. Dabei kommt mir ein einheimischer Freund zu Hilfe, der als Fotojournalist noch ganz anderen Zugang zu Behörden und Organisationen hat. Drückt mir die Daumen!

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