Balkan-Fieber

Es hat mich erwischt – das Balkan-Fieber! … und ich vermute mal, da gibt es auch keine Medizin dagegen. Muss es auch nicht!

Bereits im vergangenen Jahr wurde ich infiziert, als ich mir mit der Fahrt durch Slovenien, Istrien und entlang der kroatischen Küste einen langgehegten Reisetraum erfüllen konnte. Die damals erst  wenige Tage zuvor eröffnete Peljeski-Brücke in der Nähe von Dubrovnik war mein ‚Point of return‘.

Gewissenhaft, wie ich nun mal bin, wollte ich bei meiner diesjährigen Tour genau dort auch wieder in die Jadranska-Magistrale einsteigen, um dieser bis zu ihrem Ende im südlichsten Zipfel von Montenegro zu folgen.

Aber schon der Weg dorthin bot unzählige traumhafte Reisemomente. Böhmische Dörfer und östereichische Weinberge, ungarische Gastfreundschaft mit selbstgebranntem Palinka, der Besuch der Bosnischen Pyramiden und eine Klangschalenmeditation im Ravne-Tunnel in Visoko, der Bummel durch die verwinkelten Gassen des Basars in Sarajevo, die Fahrt entlang der Neretva bis Mostar, das Wiedersehen mit meinen bosnischen Freunden in Capljina, traumhafte Ausblicke über das Neretva-Delta nahe der kroatischen Küste…

Mit der Überfahrt der Peljeski-Brücke befuhr ich Reise-Neuland. Ich umrundete die Bucht von Kotor, schlenderte durch die traumhafte Altstadt von Budva, besuchte den legendären Beer&Bike Club und bog am Ende der Jadranska-Magistrale in Richtung Skodra ab.

Jetzt wurde es so richtig wild! Die Straßen in Albanien haben nicht nur mich, sondern auch meine ‚Lady‘ so richtig gefordert. Ich war froh, dass ich in den Foothills des Himalayas das Motorradfahren gelernt habe. So dachte ich, es kann mich so schnell nichts schocken. Aber denkste!!!

Es gibt Straßen, die sind auf der Karte nicht eingezeichnet, dafür findet man aber auch auf der Karte Straßen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Die Orientierung ohne Navi war eine Herausforderung. Ganz abgesehen davon, dass nicht alle Straßen diese Bezeichnung auch verdienen. Der Straßenbelag gleicht einem Flickenteppich aus unterschiedlichsten Materialien, gespickt mit Schlaglöchern – halb so tief wie eine Badewanne, dafür doppelt so groß! Dazu kommt noch die temperamentvolle und teilweise auch rücksichtslose Fahrweise der Einheimischen, die mit den unterschiedlichsten und in den seltensten Fällen verkehrstüchtigen Vehikeln unterwegs sind. Aber nicht nur Mensch und Mobile teilen sich die Wege, sondern auch unzählige Tiere jeglicher Art mischen mit. Hunde, Katzen, Vögel, Hühner, Esel, Ziegen, Schafe, Kühe, Pferde… Die haben keine Scheu vor den Fahrzeugen, sondern laufen oder springen beherzt darauf zu. Ein großer Teil davon hat es nicht überlebt und mahnte aller paar Meter als Kadaver zur Vorsicht. Dazu noch Schlangen… viele Schlangen…

Aber ich wurde mit wunderbaren Erlebnissen, Eindrücken und Begegnungen für all die Anstrengungen entschädigt und belohnt. Ein albanischer Polizist schenkte mir zum Andenken seine Mütze; meine Gastfamilie in Saranda gab mir zu Ehren ein traditionelles Essen; durch eine Fehlbuchung bekam ich in Berat ein Zimmer direkt in einem alten Steinhaus inmitten der denkmalgeschützten Altstadt; kurze Gespräche am Straßenrand mit Einheimischen, aber auch mit Motorradfahrern aus den unterschiedlichsten Ländern…

Nach dem Überqueren des Vivar-Kanals mittels einer Floß-Fähre ging es weiter nach Griechenland. Als ich vor 7 Jahren auf der Durchreise die Meteora-Klöster sah, habe ich mir selbst versprochen, noch einmal in Ruhe an diesen faszinierenden Ort zurückzukehren. Dies sollte mein diesjähriger Höhe- und Umkehrpunkt auf der Tour sein. Dreimal bin ich zu verschiedenen Tageszeiten durch die weitläufige Felslandschaft gefahren, um die auf den Felsspitzen thronenden Klöster in unterschiedlichem Licht und die dadurch erzeugte Atmosphäre erleben zu können.

Aber auch der Rückweg bot noch viele unvergessliche Momente und Naturerlebnisse – Die idyllischste Grenzstation (ALB/MKD) direkt am Ufer des Ohridsees, die kleine Wanderung entlang des Matka-Canyons in der Nähe von Skopje, der Plausch mit Einheimischen auf den Stufen eines kleinen Ladens in Pristina, die Übernachtung in einer Hütte inmitten üppiger Natur im Durmitor-Nationalpark, die Überquerung der Durdevica-Tara-Brücke über dem majestätischen Canyon, die köstlichen Himbeeren auf einer serbischen Plantage, der leckere Eiskaffee auf dem beeindruckenden Marktplatz von Novi Sad, die Besichtigung eines der schönsten Schlösser, das Schloss Eisgrub.

Auf dem Motorrad ist man der Natur ausgesetzt. Das kann bisweilen sehr herausfordernd sein, wenn man z.B. bei Temperaturen um die 40 Grad , wie ich sie in Albanien erlebt habe, den ganzen Tag in voller Montur verbringen oder aber auch wolkenbruchartige und langanhaltende Regenfälle aushalten muss. Aber man erlebt auch die Natur ganz anders, viel intensiver! Nichts ist vergleichbar mit dem würzigen Duft der mediterranen Pflanzen nach einem Regenguss. Frisch gemähtes Gras oder Getreide, die salzige Brise der Adria, die aromatischen Gerüche an den Garküchen am Straßenrand, Alleen aus immergrünen Magnolien… jedes Land, jede Gegend hat ihre eigene ganz spezielle Mischung, die natürlich auch den Appetit auf all die regionalen Köstlichkeiten anregt. Wie sehr hab ich das alles genossen!

Oft werde ich gefragt, was denn das Schönste auf der Tour war. Die Antwort ist für mich ganz einfach: Dass ich wieder wohlbehalten daheim angekommen bin!

Das mag recht simpel klingen. Aber es ist bei Weitem nicht selbstverständlich, was mir u.a auch ein Unfall in Montenegro gezeigt hat, bei dem ich Erste Hilfe geleistet habe. Den Fuß des Mofa-Fahrers, der bis auf den Knochen offen war, werde ich wohl nicht so schnell vergessen.

Es gab bei dieser Tour einige Situationen, bei denen ich mir gewünscht hätte, daheim auf dem Sofa zu sitzen oder die Reise gar nicht angetreten zu haben. Ich war der Verzweiflung nahe, als ich irgendwo im albanischen Nirgendwo gelandet bin, die Straße schlagartig zu Ende und der einzige verfügbare Weg nur mit Allradantrieb oder einer starken Enduromaschine zu bewältigen war. Ich musste 70 Kilometer zurück über furchtbare Straßen und habe dafür über 3 Stunden gebraucht. Oder die Nachtfahrt über den Llogara-Pass, wo obendrein noch das Rücklicht meiner ‚Lady‘ ausgefallen war. Oder die Überquerung des 1800 m hohen Kula-Pass bei Regen und starkem Nebel mit Sichtweiten unter 20 Metern. Allein schon die Witterungsverhältnisse auf dieser schlagloch- und kurvenreichen Straße war eine Herausforderung. Als ich dann noch einen abgenagten Unterschenkel eines großen Tieres (der Huf war noch gut zu erkennen) auf der Straße liegen sah, wurde mir bewusst, dass es in diesem Gebiet zahlreiche Bären gibt. Ich malte mir die schrecklichsten Szenarien aus, die aber durchaus realistisch waren. Was wäre, wenn so ein kleiner Teddy plötzlich aus dem Wald gerannt kommt und mir ins Motorrad springt. Ich bin zwar wegen des Nebels sehr langsam gefahren, aber ich hätte wahrscheinlich vor Schreck auch gar nicht so schnell bremsen können. Für Mutter Bär wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes ein gefundenes Fressen gewesen. Und ausgerechnet auf dieser Strecke bin ich kaum einem Fahrzeug begegnet.

Es ist schier unmöglich, all das Erlebte, all die Emotionen und Impressionen hier wiederzugeben. Deshalb wird es auch zu meinen Balkanreisen wieder eine spannende Live-Reportage geben. Bis dahin müsst Ihr allerdings noch etwas Geduld haben.

Seit mehreren Monaten macht mir mein rechtes Knie Probleme, der Meniskus ist angerissen und ich habe nicht die volle Kraft und Koordination. Wenn ich ganz ehrlich bin, so habe ich nicht wirklich daran geglaubt, dass ich diese Tour vollständig absolvieren kann. Aber ich hab es mir sooo sehr gewünscht, alle diese besonderen Orte mit eigenen Augen sehen zu können. Und dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen!

Ich bin voller Demut und Dankbarkeit und freue mich schon auf meine nächste Balkan-Tour – denn das Balkan-Fieber hat mich völlig im Griff.

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