Wie gerne hätte ich euch unbeschwert von dem bunten Treiben des Dashain-Festes erzählt, von all den Lichtern und Ritualen. Aber das kann ich leider noch nicht, denn ich muss die unschönen Erlebnisse erstmal sacken lassen, die einen dunklen Schatten auf diese so spezielle Nacht werfen.
Aber jetzt mal von vorn: Durch meinen Sohn Tony habe ich einen Fotografen kennengelernt, der sich durch wirklich spektakuläre Fotos von ganz besonderen Orten auszeichnet. Dabei verläßt er stehts seine eigene Komfortzone, um faszinierende Momente festzuhalten. Vor zwei Wochen erst hat er eine Expedition zum Annapurna Base Camp begleitet und in klirrender Kälte nachts Langzeitaufnahmen von der Rotation der Sterne über den Gipfeln des Himalayas gemacht. Er verbrachte mehrere Nächte im Dschungel auf der Jagd nach Fotos, die die Wildnis in ihrer puren Schönheit zeigen. Sein Einsatz und Können wurden erst kürzlich mit einer hohen Auszeichnung gewürdigt.
In der Nacht des Lichter-Festes wollte Chandra Aufnahmen vom hellerleuchteten Kathmandu-Tal machen. Dazu hatte er sich einen Tempel in den Hügeln hoch über dem Tal ausgesucht und mir angeboten, ihn zu begleiten. Das wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen, zumal Tony ihn gebeten hatte, mir unbedingt einmal diesen Platz mit der Wahnsinns-Aussicht zu zeigen.
Am späten Nachmittag machten wir uns mit dem Motorrad und kompletter Ausrüstung auf den Weg. In dem kleinen Tempel lebt ein alter Guru nur von den Gaben der Gläubigen, die ihn besuchen. Auch wir hatten ihm etwas zu Essen mitgenommen. Die weisen gütigen Augen dieses Gelehrten werde ich wohl nie vergessen. Ich fühlte mich vom ersten Moment an wohl seinem Reich. Er gab uns sogar die Erlaubnis, unser Zelt im Schutz der Tempels auf dem Dach der Zeremonienhalle aufzustellen, und überließ uns noch ein paar alte Yogamatten und eine Decke zum Schutz gegen die aufziehende Kälte. Das Zelt war schnell aufgebaut und thronte wie eine goldene Kuppel über der Halle.
Danach stiegen wir wieder ab und fuhren mit dem Bike in das naheliegende Dorf um etwas zu essen und das Bike über Nacht bei einem Freund sicher unterzustellen. Es war bereits stockdunkel, als wir im Licht der Stirnlampe wieder den Tempel erreichten. Das Wetter meinte es gut mit uns, wir hatten eine Traumsicht auf alle drei Königsstädte des Tales zugleich. Vom Dorf her drang ziemlich laut Musik und das Gelächter der Feiernden zu uns hinauf. Eine Lampe erhellte den Hauptbereich des Tempel und ließ die verschiedensten Kultgegenstände als mystische Schatten erscheinen. Ich liebe solch eine Stimmung und konnte es kaum glauben, dass ich hier mittendrin war.
Die Umgebung bot wirklich tolle Motive als Rahmen für die auch hier geplanten Langzeitaufnahmen. Wir hatten den Flughafen in der Ferne gut im Blick, so dass Chandra eine wunderbare Aufnahme von einer halben Stunde gelungen war, die den Flugbetrieb als dynamische Lichtspuren zeigten. Ich konnte in der Zeit viel lernen und bedauerte wirklich sehr, dass meine Kamera für Fotos solcher Art nicht geeignet ist. Chandra erzählte mir viel von seiner Familie und seinen Abenteuern. Ein Satz von ihm jagte mir jedoch im Nachhinein noch einen Schauer über den Rücken „… in der Zeit zwischen 23 und 2 Uhr verspüre ich stets Angst. Denn das ist eine besondere Zeit, der alte Tag ist längst Geschichte und der neue Morgen noch nicht greifbar…“
Was konnte uns hier schon im Schutz des Tempels geschehen? Der alte Guru hatte sich längst schlafen gelegt und sein Schnarchen drang durch die glaslosen Fenster seiner Kammer. Es war kurz nach eins, Chandra hatte gerade seine Kamera an der letzten Position ausgerichtet. Mir war hundekalt und da er nun keine Assistenz mehr brauchte, verkroch ich mich ins Zelt. Noch immer drangen die Geräusche der Feiernden zu uns hinauf, jedoch merklich gedämpfter. Im Dschungel nebenan knackten Äste und die verschiedensten Laute der Tiere waren zu hören. Und dennoch fühlte ich mich herrlich geborgen.
Ich war wohl gerade etwas weggedämmert, da hörte ich eine aufgeregte Stimme und kurz darauf kam Chandra zum Zelt und berichtete mir aufgeregt, was gerade passiert war. Die Zeitspanne für die letzte Aufnahme war fast abgelaufen, als er sich keine zehn Meter von der Kamera entfernt hatte, um auszutreten. Er traute seinen Augen nicht, als er nach diesem kurzen Moment an den Platz zurück gekehrt war, und die Kamera mitsamt Stativ spurlos verschwunden war. Sein erster Gedanke war, dass diese vielleicht abgestürzt ist. Aber da wäre etwas zu hören gewesen, da direkt unter dem Standplatz große Steine waren. Er hatte daraufhin seinen Freund im Dorf angerufen, der kurze Zeit später mit Verstärkung und Lampen den Hügel hinaufkam. Schon von weiten hörten wir ihre Schritte und das Schnaufen. Es wäre unmöglich gewesen, dass sich jemand unserem Platz genähert hätte, ohne dass wir auf ihn aufmerksam geworden wären.
Während ich im Tempelhof zurückblieb, machten sich die Männer mit den Lampen auf die Suche. Jetzt war auch mir unheimlich zumute. Aber nicht aus Angst, sondern weil ich für diesen Fakt keine logische Erklärung hatte. Es war mitten in der Nacht!!!! Da geht doch keiner mehr den Berg hinauf in den Tempel! Affen gibts hier in der Gegend auch keine, die sich eventuell die Kamera gekrallt hätten. Wenn ein Adler diese gestreift hätte, wäre sie zwar umgekippt, aber nicht verschwunden. Und auch Tiger und Leopard hätten diese nicht wegschleppen können.
Nach einer Weile kamen die Männer ratlos zurück. Keine Spur, weder von Kamera noch irgendwelche andere Zeichen, die deren Verschwinden erklären können. Den in Nepali geführten Gesprächen konnte ich zwar nicht folgen, merkte aber am Tonfall, dass es nichts Gutes bedeutete.
Chandra übersetzte mir daraufhin, dass es nur eine einzige logische Erklärung für die Situation gab. Hier in Nepal ist nicht nur die Armut groß, sondern infolge dessen auch die kriminelle Energie und Gewaltbereitschaft. Vermutlich ist uns einer der zahlreichen professionellen Diebe gefolgt und hat im Schutz der Dunkelheit auf eine gute Gelegenheit gelauert, an unsere Wertsachen zu kommen. Da sich diese Gelegenheit ‚glücklicherweise‘ in dem kurzen Moment bot, als Chandra austreten war, ist uns wohl ein überraschender Überfall im Zelt erspart geblieben.
Das bedeutet, dass wir 4-5 Stunden aus dem Dunkel heraus beobachtet worden sind! Und dies lies mich nun wirklich erschaudern! Das Tragische an der Situation ist jedoch, dass dem jungen Fotografen nicht nur seine Kamera geraubt wurde, sondern damit auch die Existenzgrundlage für sich und seine Familie.