Baba Shiva Das

„Real Baba or Bussines man?“ Diese Frage stelle ich den dort ansässigen Sadhus  jedes Mal aufs Neue, wenn ich die Tempelanlage Pashupadinath besuche. Damit will ich sie einfach ein bisschen necken und ins Gespräch kommen.

Das große Areal am östlichen Rand von Kathmandu ist für Zweierlei berühmt – die rituellen Totenverbrennungen am heiligen Fluss Bagmati und die in leuchtendes Orange gehüllten und mit wundervollen Gesichtsbemalungen verzierten Sadhus.

Als ich vor 5 Jahren zum ersten Mal in Nepal war, fiel ich wie fast alle Touristen dem Geschäftssinn dieser Söhne Shivas zum Opfer. Sie bilden aber auch ein reizvolles Fotomotiv vor dem malerischen Hintergrund der zahlreichen Opferschreine. Während ich damals arglos der Einladung zum Fotoshooting gefolgt war, flüsterte mir einer der vermeintlichen Holi Men in perfektem Englisch „Five Dollar for one picture“ ins Ohr. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich mir, und zahlte dennoch brav. Es hat sich allerdings auch gelohnt, denn dieses Foto ziert nun mein NEPAL-Vortragsplakat  und ist eines der Motive des Kalenders 2016.

Seitdem zieht es mich immer wieder an diesen Ort, um den sich so viele Geschichten ranken. Mittlerweile weiß ich auch, dass die meisten ‚Bussines men‘ morgens ganz normal zur Arbeit kommen, sich der weltlichen Tracht entledigen und in safranfarbene  Gewänder hüllen. Danach folgt ein aufwendiges, farbenfrohes und äußerst kunstvolles Makeup. Behangen mit unzähligen Gebetsketten, mystischem Kopfschmuck und dem Dreizack, dem Symbol Shivas, suchen sich die Herren ein dekoratives Plätzchen – natürlich immer im besten Fotolicht. Milde lächelnd locken sie Tag für Tag Touristen in ihre Fotofalle. Das perfekte Geschäft, vor allem wenn man bedenkt, dass der Lohn eines Lehrers in Nepal knapp 100 Euro beträgt. Auch für eine falsche Segnung lassen sie sich gut bezahlen.

Aber es gibt auch noch die wahren Sahdus in Pashupadinath. Diese leben weniger auffällig in einem Ashram in dem Tempelkomplex und würden nie für einen Segen Geld verlangen. Sie nehmen nur gern eine kleine Spende entgegen. Oftmals finden diese Heiligen Männer erst spät den Weg zu dieser Lebensform, wenn sie die anderen Lebensphasen eines Hindus – die des Aufwachsenden, des Schülers und die des Hausherrens – bereits durchschritten haben. Sie entsagen den weltlichen Freuden, geben jeglichen Besitz auf und beginnen die heiligen Schriften zu studieren oder leben in Askese.

Letzteres treibt bisweilen recht skurile Blüten. Es gibt Sadhus, die sich jahrzehntelang keine Fingernägel schneiden oder jahrelang den rechten Arm gen Himmel recken. Manche üben sich in merkwürdigen Verrenkungen, verschränken die Füße hinter dem Kopf oder hängen sich schwere Gewichte an ihre Geschlechtsteile. Welchem Zweck dies alles dienen soll, ist mir jedoch bis heute verborgen geblieben.

Wenige Wochen vor meiner letzten Reise besuchte ich die Live-Reportage „Nepal – ACHT“ von und mit Dieter Glogowski. Einer der Protagonisten dieser faszinierenden Reportage hat mich besonders beeindruckt – Baba Shiva Das. Und ausgerechnet diesem Mann begegnete ich vor genau einem Jahr im bunten Gewühl von Pashupadinath. Ich konnte es damals kaum glauben, als sich herausstellte, dass dieser Heilige Mann derjenige ist, der gemeinsam mit Dieter Glogowski den Dhaulagiri umrundet hat. Nachdem wir eine Weile mehr schlecht als recht in einem Kauderwelsch von Englisch und Nepali geplaudert hatten, zeichnete er mir mit rotem Farbpulver die Tikka, ein Segenszeichen auf die Stirn. Eigentlich mag ich das nicht so gern, da das rote Pulver zusammen mit dem Schweiß, der einem bei der schwülen Hitze Nepals in Strömen von der Stirn tropft, ganz gern auch in die Augen läuft und brennt. Aber von solch einer Persönlichkeit lass ich mir das gern gefallen.

Ich musste immer wieder an diese Begegnung denken. Als ich vor zwei Wochen mit meiner kleinen Reisegruppe in Pashupadinath war, lief mir Baba Shiva Das wieder über den Weg. Er erkannte mich wieder und zeigte mir ganz stolz den Bildband von Dieter Glogowski. Wir machten es uns vor einem Opferschrein gemütlich und blätterten gemeinsam durch das Buch. Beim Abschied fragte mich der Baba, ob ich ihm eine Decke für den Winter besorgen könnte. Er pilgert manchmal zu anderen heiligen Orten und schläft dann meist irgendwo auf dem Fußboden oder gar draußen.

Mir fiel sofort meine ockergelbe Steppdecke ein, die ich zusammen mit anderem Hausrat bei Freunden deponiert hatte. Die ist doch wie gemacht für den guten Mann! Also holte ich die Decke gestern ab und machte mich heute auf den Weg, um Baba Shiva Das zu überraschen. Ich weiß, dass er ein Faible für Fotos hat und so ließ ich noch fix zwei Fotos für ihn entwickeln, die bei unseren beiden letzten Treffen entstanden sind. Obwohl – ganz so fix ging es dann doch nicht. Für den kleinen Umweg von zwei Kilometern zum Fotoshop brauchte ich eine ganze Stunde, die Wartezeit im Geschäft nicht mitgerechnet. Aber das war es mir wert!

Ich krieg jetzt noch Gänsehaut wenn ich daran, wie überrascht und erfreut der Baba war, als ich ihm die Sachen überreicht habe. Trotz praller Sonne kuschelte er sich in die Decke um zu zeigen, wie sehr sie ihm gefällt. Besonders die Farbe hat es ihm angetan, passt sie doch perfekt zu seinem Gewand. Er war nun natürlich der Star der Truppe, die sowohl aus echten Babas als auch aus Geschäftsmännern besteht, welche in friedlicher Koexistenz beieinander leben.

Es war sehr amüsant zu beobachten, wie schnell die den Touristen gegenüber aufgesetzte Frömmigkeit von den falschen Babas abfiel und einer enormen Geschäftstüchtigkeit Platz machte. Sie bestellten nun alle bei mir Steppdecken.

Baba Shiva Das begleitete mich noch zu meinem Moped, dass ich etwas außerhalb abgestellt hatte. Dabei trug er die ganze Zeit seinen neuen Schatz bei sich. Aller guten Dinge sind drei – aber ich bin sicher, dass ich unseren bisher drei Begegnungen noch einige mehr hinzufügen werde.

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