Ohne Unterrock in die Ehrenloge

Es ist Samstag, gerade mal kurz vor 12. Zu dieser Zeit bin ich daheim manchmal gerade erst fertig mit Frühstücken, geschweige denn habe ich große Taten vollbracht. Hier in Nepal, in meiner zweiten Heimat, ticken die Uhren anders! Da hat man um diese Zeit bereits mehr als ein Tagespensum geschafft. Ein Paradebeispiel dessen habe ich soeben erlebt!

Vor ein paar Tagen erhielt ich eine Einladung zu einer großen Zeremonie. Soweit ich verstanden hatte, sollten u.a. ein paar Schüler für besondere Leistungen geehrt werden. Suman bat mich, wie alle Ehrengäste, eine kleine Ansprache vorzubereiten. Das Programm sollte in der Festhalle der Budhanilkantha School stattfinden. Ich hatte mir extra früh um 6 den Wecker gestellt, damit ich auch pünktlich um 8, geschniegelt und gebügelt und vor allem perfekt eingewickelt, an Ort und Stelle bin.

Eigens für diesen Zweck hatte ich mir einen neuen Sari zugelegt, für 8,50 Euro eine durchaus akzeptable Investition. Als ich ihn beim Händler schon mal zur Probe gewickelt hatte, war ich echt begeistert – ein Traum aus rot-grün-lila Chiffon, verziert mit goldenen Borten. Und auch heute Morgen bei schummriger Beleuchtung war ich ob meines Anblicks ganz zufrieden. Mittlerweile beherrsche ich die Wickeltechnik nahezu so perfekt wie die Nepalesinnen. Es war zwar ziemlich unhandlich, in diesem Gewand mein Moped über die Buckelpiste hinunter ins Dorf zu steuern, aber was solls – frau sollte schließlich in jeder Lebenslage eine gute Figur machen.

Etwas irritiert war ich dann doch, als ich die Festhalle erreichte. Es war niemand da! Ein Anruf bei Suman brachte Klarheit, die Zeremonie findet auf dem Dorfplatz am Tempel statt. Man musste kurzfristig umdisponieren und hatte vergessen, mich zu informieren. Normalerweise kein Problem, wenn nicht die Tankanzeige mich ständig daran erinnerte, dass ich schon viel zu lange auf Reserve fuhr. Da ist jeder Kilometer zu viel. Zum Glück kenne ich mittlerweile viele Schleichwege, wusste aber nicht, dass durch das Erdbeben und den Monsun an einer Stelle ein unüberwindbares Hindernis ist. Ein paar Dorfbewohner sahen mich draufzusteuern und versuchten, mich zu warnen. Aber ich hatte ihre Gesten als freundliches Winken interpretiert und steckte nun in einer so engen Gasse fest, dass ich nicht mal mehr meinen Scooter wenden konnte. Die Männer kamen schon angelaufen und wuchteten mit vereinten Kräften mein Gefährt in die andere Richtung.  Huch, das war grad nochmal gut gegangen!

Aber das nächste Desaster ließ nicht lange auf sich warten. Ich parkte gerade meinen Scooty am Tempel, als eine junge Frau kichernd auf mich zu kam. Sie sagte mir, wie schön ich doch in dem Sari ausschaue und fragte mich, wo denn mein Unterrock sei. Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen – im wahrsten Sinne des Wortes! Die meisten meiner Saris sind blickdicht, so dass es nicht nötig ist, unter den 6-7 Metern Stoff noch so ein Ungetüm von Unterrock zu tragen. Bei diesem Traum aus Chiffon jedoch, im morgendlichen Licht der tiefstehenden Sonne blieb nichts, aber auch gar nichts verborgen. Oh Gott, war mir das peinlich!

Was sollte ich tun? Ich hatte zwar noch eine Hose mit, die ich danach anziehen wollte, um nicht im Festgewand einkaufen zu müssen. Aber diese Hose konnte ich mir ja jetzt auch schlecht auf der Stelle anziehen. Ich drapierte meine große Umhängetasche auf meine Rückseite, hielt meine Jacke vor dem Körper und versuchte halbwegs würdevoll, den Tempel zu durchqueren. Natürlich ist dieser an einem Samstagmorgen bestens besucht. Vishnu auf seinem Schlangenbett möge mir verzeihen! Ganz ehrlich, ich habe mich selbst in der Sauna noch nie so nackig gefühlt. Hätte nicht wenigstens jetzt mal eine Wolke das grelle Sonnenlicht mildern können?!

Mittlerweile war es halb 9 und auf dem Festplatz ging es zu wie auf dem Jahrmarkt. Hier wurden noch fleißig Stühle gerückt, die Bühne dekoriert und der Soundcheck gemacht. In diesem Gewimmel entdeckte ich Sita, die einen Stand mit Opfergaben am Tempel betreibt. Sie nahm mich kurzerhand unter ihre Fittiche und schleppte mich in ihre Wohnung, wo mindestens 6 junge Frauen und ein Mann herumwirtschafteten. Sita erklärte kurz die Situation, was zur allgemeinen Belustigung beitrug, verwies den Mann aus dem Zimmer und steckte mich in einen ihrer Unterröcke. Die Frauen zupften an mir herum, um die Stofffülle zu bändigen und 10 Minuten später konnte ich erleichtert den Festplatz betreten.

Dort herrschte noch immer Chaos, aber zumindest die Stühle für die Ehrengäste standen bereits auf der Bühne. Suman, der KungFu-Trainer, wies mir einen Platz zu und so konnte ich ganz entspannt das Treiben beobachten. Jedoch irgendetwas irritierte mich. Sollte dies nicht eine Veranstaltung der Bal Bikas Schule sein? Von Schülern war hier nicht viel zu sehen, dafür waren sämtliche anwesende Kinder in ihren KungFu-Dress gekleidet. Suman klärte mich auf, dass heute die Medaillen-Gewinner der Weltmeisterschaft in Bangkok geehrt werden sollen. Na doll, jetzt konnte ich meine Rede auch noch zweckentsprechend umschreiben. Bloß gut, dass ich mein Netbook dabei hatte.

Nach und nach trudelten sämtliche Ehrengäste und Funktionäre ein und der Platz füllte sich mit Zuschauern. Wenn in der westlichen Welt ein derartig großes Ereignis stattfindet, so ist Pünktlichkeit, Kleiderordnung und Protokolltreue absolute Pflicht. Nicht in Nepal! Schon dafür liebe ich dieses wunderbare Land! Hier ist alles so herrlich unkompliziert und bunt.

Als fast alle der knapp 20 Stühle auf der Bühne besetzt waren, ging ein Raunen durch die Menge. Ein hochgewachsener Herr im hellen Sakko betrat den Festplatz und wurde von allen Seiten begrüßt. Ihn umgab etwas recht majestätisches. Das war er also, der ehemalige Präsident der bewaffneten Polizei! Ich hatte heute schon so viele Namen und Titel gehört, dass mir schon ganz schwindlig davon war. Merken konnte ich mir die allerwenigsten. Er schien auf jeden Fall der Wichtigste zu sein, denn extra für ihn und den Präsidenten der WUMA (World Union Martial Arts) wurde kurzerhand ein wuchtiges Ledersofa angeschleppt. Wo sie das so schnell hergeholt haben, ist mir noch jetzt ein Rätsel.

Nach dem aufwendigen Begrüßungsritual mit Orden und Ehrenschleife nahm das Spektakel Fahrt auf. Immer wieder zwischen den ganzen Ansprachen kamen Dorfbewohner auf die Bühne. Aber nicht, weil sie was zu sagen hatten – nein! Die Bühne war ja nur provisorisch und eigentlich ein Podest, auf dem zwei heilige Buddha-Bäume wachsen. Diese werden von den Gläubigen verehrt, mit Wasser besprengt, mit Opfergaben geschmückt und rituell umrundet. Da ist es egal, ob grad die High Society von Nepal auf dem Podest geehrt wird. Wenn die Zeit reif ist, kann auf sowas natürlich keine Rücksicht genommen werden. Aber genau das ist das Tolle an dem Land – leben und leben lassen, Respekt und Akzeptanz.

Die Zuschauer kamen und gingen nach Belieben, ein Bauer brachte gleich seine Ziegen mit, die Marktfrauen verlagerten ihre Stände auf den Festplatz und erfreuten sich am guten Umsatz. Die Zeit verging wie im Flug, junge Mädchen in wunderschönen Gewändern führten traditionelle Tänze vor und die KungFu-Kämpfer zeigten in einer faszinierenden Show ihr Können.

Der Höhepunkt war zweifelsohne die Ehrung der 8 Medaillengewinner. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im März die Teilnehmer der Martial Art-WM am Airport verabschiedet habe und wie gerührt ich war, als ich von deren Erfolg in Bangkok erfahren habe. Was das für diese Kinder und Jugendlichen bedeutet, können sie selbst noch gar nicht ermessen. Mit diesem verdienten Erfolg stehen ihnen Türen offen, die für die meisten ihrer Freunde für immer verschlossen bleiben. Ich kenne die Kinder schon über eine lange Zeit und bin voller Respekt für ihre Leistungen. Einen Teil der Spenden verwende ich dafür, diesen Kindern aus armen Verhältnissen Zugang zum KungFu zu ermöglichen und unterstütze sie mit Trainingskleidung. Und wenn dann sogar noch kleine Weltmeister dabei sind, dann ist die Unterstützung mehr als sinnvoll investiert!

Geschmückt wie die Preiskühe nahmen wir zum Schluss Aufstellung für das obligatorische Gruppenfoto und ließen den Vormittag bei einem kleinen Imbiss ausklingen.

Für das nächste Mal bin ich nun auf jeden Fall bestens gerüstet – mit einem eigenen Unterrock!

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