Mein neues Zuhause
Dass es schwierig sein wird, hier in Budhanilkantha eine Wohnung zu finden, war mir von vornherein klar. Deshalb habe ich diese Aufgabe auch an einen guten Freund delegiert, verbunden mit meinen bescheidenen Wünschen nach halbwegs warmen Wasser und Strom.
Als ich eine Woche vor meiner Abreise nach Nepal noch immer keine Erfolgsmeldung hatte, war ich schon leicht irritiert. Wenige Stunden vor meiner Abreise erreichte mich dann die erlösende SMS: I‘ve found a flat for you!
Juhuuu, dann kanns ja losgehen! Ich sah mich schon in meine traditionellen Gewänder gehüllt auf dem Markt frisches Gemüse kaufen, welches ich dann in ‚meiner‘ Küche auf nepalesische Art zubereite. Ich freute mich darauf, hier nicht nur Gast zu sein, sondern selber auch mal meine hiesigen Freunde einladen und bewirten zu können. Die Vorstellung eines eigenen Bades versetzte mich angesichts der Erinnerungen an meine Zeit im Waisenhaus in helles Verzücken.
Den ganzen Flug über war ich hibbelig wie ein Kind vor Weihnachten. Was würde mich alles erwarten?! Als mir dann mein Freund noch die Vorzüge meines neuen Domizils aufzählte, war ich schier aus dem Häuschen! 24 Stunden heißes Wasser, 24 Stunden Strom, 24 Stunden Wifi, eine Dachterrasse mit 360 Grad Ausblick auf das Kathmandu-Tal und die Hänge des Shivapuri…
Doch plötzlich war es da, das böse Wort – ABER!!! Nepalesen verwenden in ihrem grenzenlosen Optimismus recht selten dieses Wort. Deshalb schellten bei mir nun sämtliche Alarmglocken. ABER – ‚common kitchen and common bathroom‘! Was hier recht harmlos klingt, kann in Nepal für einen hygienisch anspruchsvollen Westler das mentale Todesurteil bedeuten. Ich sah auch schon am Blick meines Freundes, dass er sich dessen wohl bewusst war.
Was solls, es war bereits stockdunkel, ich war kaputt von der langen Reise und ich hätte hier im Dorf sowieso keine Alternative gefunden. Also wurden meine Gepäckstücke auf vier Leute und zwei Motorräder verteilt und es ging durch dunkle Gassen und über buckelige Wege ‚nach Hause‘.
Mein Vermieter, oder besser gesagt meine Gastfamilie, empfing mich mit der wunderbaren nepalesischen Gastfreundschaft, die ihresgleichen sucht. Nach der Führung durch alle Räumlichkeiten stand für mich fest: Das ist genau das, was ich NICHT gesucht hatte! Aber es gefällt mir.
Mein Zimmer liegt im vierten Stock und somit auf dem Dach des Hauses. Nebenan befindet sich die wirklich gut ausgestattete Küche der Gastfamilie. Das kann einerseits recht praktisch sein, wenn ich an die große Vitrine mit diversen Whiskeysorten denke, für die der Hausherr offensichtlich ein Faible und ich quasi eine Flatrate hab. Andererseits bedeutet es aber auch frühzeitiges Wecken durch Küchenlärm und Essensduft. Pünktlich um 6 beginnt die Hausfrau mit den Töpfen zu klappern, denn da wird die erste Runde Dal Bhat zubereitet.
Die Wohn- und Schlafräume der Familie liegen ein Stockwerk tiefer, ebenso das Badezimmer. Dieses ist wirklich sehr großzügig bemessen, so dass man nicht wie in manchem Hotel beim Duschen mit einem Bein im Klo stehen muss. Apropos Klo – ich bin sehr froh, dass ich über eine relativ gute Beinmuskulatur verfüge. Anders würden sich die kleinen und größeren Geschäfte bei diesem ‚Hockklo‘ nicht bewerkstelligen lassen. Ich bin echt gespannt, wie sich das im Laufe der Zeit mit der immer besser funktionierenden Verdauung gestalten wird.
Von meinem Zimmer hab ich wirklich einen traumhaften Blick auf Kathmandu. Oder besser gesagt – hätte ich. Wenn ich nicht wüsste, wo ich bin und wohin ich blicke, erkennen könnte ich es nicht. Das Dorf liegt schon die ganze Zeit in ständigen Nebel und Wolken gehüllt. Zu diesem permanenten Grau ist mein Zimmer ein recht gewöhnungsbedürftiger, aber wirkungsvoller Kontrast. Die Wände sind in Neon-Orange und Neon-Grün gestrichen. Und wenn ich Neon sage, dann meine ich auch Neon! Und damit das Ganze noch den richtigen Kick bekommt, kommen diese Farben in großflächigen Mustern daher. Dazu gesellt sich ein Sammelsurium von unpraktischen Möbeln, Teppichen und Deckchen, alle ebenfalls sehr farbenfroh und kreativ gemustert. Tine Wittler hätte ihre wahre Freude!
In einer Zimmerecke stehen ein Notstromaggregat und eine Batterie, der Größe nach zu urteilen mindestens aus einem Traktor. Diese verkünden durch lautes Brummen, Knattern oder auch Fiepen ihren aktuellen Status, meist in der Nacht. Als ruhender Gegenpol befindet sich in der anderen Ecke ein stattlicher Haustempel. Dieser ist ausstaffiert mit Statuen und Bildern der wichtigsten hinduistischen Gottheiten und dekoriert mit Plastikblumen und Häkeldeckchen. Ich finds toll, dann haben meine Abendgebete einen kurzen Weg!
Alles in allem kann ich sagen, dass ich mich hier verdammt wohl fühle, auch wenn es so überhaupt nicht meinen ursprünglichen Vorstellungen entspricht. Die Familie selbst scheint für hiesige Verhältnisse recht wohlhabend zu sein, was es mir leichter macht, ihre Gastfreundschaft anzunehmen und zu genießen.
Nur eine Frage drängt sich mir auf: Wie war das gemeint mit 24 Stunden Wasser, Strom und Wifi? 24 Stunden pro Woche oder pro Monat?