Gestern war ich schon gegen Mittag fertig mit meiner Tour. Nach einem Blick in den Spiegel war schnell klar, wie ich die freie Zeit nutzen sollte. Den Frisör meines Vertrauens konnte ich nicht mehr auffinden. Experimentierfreudig begab ich mich in das nächstbeste Geschäft. Wobei ich gleich von vornherein festhalten möchte – es war das nächste, aber keinesfalls das Beste!
Der Empfangsraum war überraschend freundlich gestaltet, eine kleine Sitzecke lud zum Warten ein. Eine bildhübsche junge Nepalesin in einer bezaubernden Tracht reichte mir die ‚Menue-Card‘. Ein umfangreiches Schönheitsprogramm wurde hier offeriert – angefangen von diversen Kosmetikbehandlungen über exotische Massagen bis hin zu unterschiedlichen Haarschnitten und Frisuren. Ich erwog ernsthaft, aufwendigere Restaurierungsarbeiten in Auftrag zu geben.
Ein Blick auf die Preisliste lies keine Zweifel, dass dieses Etablissiment zur gehobenen Kategorie gehört. Ein Blick in meinen Geldbeutel überzeugte mich, nur das Nötigste machen zu lassen – Spitzen schneiden und Färben. Das sollte zusammen stolze 3900 Rupien, ca. 32 Euro kosten. Ich sagte zu der Empfangsdame, dass ich sehr wohl an einem Geschäft interessiert wäre, jedoch nur zum halben Preis.
Es hätte mir verdächtig vorkommen sollen, dass diese gleich bereitwillig darauf einging. Aber ich war zu der Zeit bereits im Feierabend- und Verwöhnmodus, da arbeiten die grauen Zellen auf Sparflamme. Die Tatsache, dass mir die Fachfrau vom ‚harten‘ Schwarz abriet und stattdessen ein sanftes Dunkelbraun empfiehl, das viel besser zu meinem Hautton passen sollte, zeigte mir, dass ich es mit einem wahren Profi zu tun hatte und ließ kurz aufflammende Zweifel verstummen.
Nachdem wir uns handelseinig geworden waren, führte mich die Dame durch dunkle, muffig riechende, verwinkelte Gänge in einen Raum im Hinterhaus. Was mich hier erwartete, konnte ich kaum glauben. Nepal ist ja berühmt-berüchtigt für seine bewusstseinserweiternden Substanzen, die man hier an jeder Ecke erwerben kann. Und genau auf solch einem Wahnsinns-Trip muss der Künstler gewesen sein, der den Frisörsalon in einem wahren Farbrausch gestaltet hat. Eine Wand war mit kitschigen Bergpanoramen verziert, die gegenüberliegende Wand mit Dschungelmotiven. Die Wände dazwischen überzogen nahezu flächendeckend psychedelische Blumenranken. Als wäre dies nicht wirklich schon genug gewesen, wurde der Raum von einem wolkenbehangenen Himmel gekrönt, an dem unterschiedlichste Vögel ihre Bahnen zogen. Das alles war wie ein Verkehrsunfall – nicht schön, man konnte aber auch nicht weggucken.
Beim Blick auf das Interieur war mir klar, was der Künstler mit seiner Arbeit bezwecken wollte. Er wollte schlicht und einfach von den teilweise bis aufs Gestell zerschlissenen Frisörsesseln und den sperrmüllartig anmutenden Schränkchen und Gerätschaften ablenken. Das ist ihm auch wirklich gut gelungen! Denn erst nachdem ich bereits die Farbe auf dem Kopf hatte, bemerkte ich, dass dieses Geschäft über kein fließendes Wasser verfügt. Unter offensichtlich stark benutzten Handtüchern verborgen befand sich ein Kopfwaschbecken ohne Wasseranschluss. Der Abfluss mündete in einen untergestellten Eimer.
Mir war nicht wohl in meiner Haut. Ich hätte bereits beim ersten Anflug von Zweifeln oder Unbehagen die Notbremse ziehen und abhauen sollen. Aber wer mich kennt, weiß, dass bei meinen Reisen meist die Neugier über die Angst siegt. Nur so erlebe ich bisweilen die verrücktesten Sachen. Und dieser Friseurbesuch war zweifellos eine davon.
Während die Farbe einwirken musste, hatte ich Zeit, den Raum genauer zu mustern. Offensichtlich hatte der Künstler in einer Ecke eine schöpferische Pause eingelegt. Hier blieb die Wand unbemalt. Großflächige Schimmelflecken sorgen allerdings dafür, dass keine gestalterische Langeweile aufkommt. Bei näherem Hinsehen fiel mir auf, dass die bunten Blüten des Wandmusters so platziert sind, dass weitere dieser Flecken gnädig verdeckt werden. Ich war scheinbar die erste Kundin seit geraumer Zeit. Das Waschbecken hatte schon eine unübersehbare Staubschicht angesetzt.
Die kleine Haarkünstlerin sprang ständig um mich herum, zupfte mal hier, prüfte mal da und telefonierte lautstark mit einer Freundin. Ab und zu schauten ihre Kolleginnen herein und beäugten mich wie einen bunten Hund. Auch wenn mir weiß Gott nicht danach zumute war, lächelte ich die Mädchen tapfer an. Wie heißt es so schön? Sein freundlich zu deinem Frisör – er hat das Schicksal deiner Haare in der Hand!!!
Nun kam der spannendste und körperlich anstrengendste Moment. Ich musste mich auf den Liegestuhl setzen, damit ich meinen Kopf rückwärts in dem Waschbecken platzieren konnte. Aber irgendwie stimmten die Proportionen von Stuhl und Waschbecken nicht. Ich rutschte immer wieder herunter. Mir blieb nichts anderes übrig, als mir mit den Füßen festen Halt zu suchen und den Körper so zu stabilisieren, dass ich mit dem Nacken den Rand des Waschbackens erreichen konnte. Meine Bauchmuskeln erinnern mich noch heute daran.
Die kleine Nepalesin hing derweil halb über mir, um mir die Farbe mittels eines kleinen Schöpfeimers auszuspülen. Dabei musste sie sich so verrenken, dass mein Gesicht quasi in ihrer Achselhöhle steckte. Zum Glück hat sie nicht transpiriert. Wenn ich mir zuhause meine Haare färbe, brauche ich mindestens 20 Liter Wasser zum Ausspülen. Hier reichte ein kleiner Wassereimer. Den Handtüchern zum Frottieren war auch nicht zu trauen.
Nachdem auch diese Hürde genommen war, begann das Schneiden. Die Friseurin hat sich da trotz Verständigungsschwierigkeiten weitestgehend an meine Vorgaben „Alli alli!“ gehalten. Das heißt übersetzt „wenig“. Ein antiker Föhn sollte meine Haare trocknen – Sollte!!! Wohlgemerkt. Nach zwei drei halbherzigen Runden um meinen Kopf, derweil die Dame mit bloßen Fingern meine Haare in Form zupfte, schaltete sie das Gebläse aus und überließ mich meinem Schicksal. Ich dachte echt, ich bin im falschen Film! Wollte sie mich so etwa entlassen? Sie meinte nur, dass zuviel heiße Luft nicht gut für die Haare ist.
Das mag wohl sein, aber ich geh doch nicht mit halbnassen Haaren heim. Ich bat Frau Figaro, das Werk doch bitte zu vollenden. Nun holte sie aus dem Schränkchen eine kleine Rundbürste, deren Farbe der Borsten wegen der vielen darin feststeckenden Haare nicht mehr erkennbar war. Jetzt ist mir aber wirklich der Kragen geplatzt. Bevor sie das Biotop zu meinem Kopf führen konnte, hatte ich meinen eigenen Kamm aus der Tasche gefummelt und ihr den Föhn aus der Hand genommen, um ihre Arbeit selbst zu Ende zu bringen.
Ich wollte nur noch raus aus der Villa Kunterbunt. So bezahlte ich zwar den vereinbarten (halben) Preis, jedoch nicht ohne die Chefin des Hauses darauf hinzuweisen, dass bei Preisen der gehobenen Kategorie auch das Ambiente und der Service entsprechend sein sollten.
Im Hotel stellte ich mich erstmal unter die heiße Dusche, um mich vor eventuellem Ungeziefer zu befreien und meine Haare nach meinem Geschmack zu richten.
Fazit – Ich seh zwar nicht besser aus als vorher, aber auch nicht schlechter. Und das Gesamterlebnis ist unbezahlbar!