Ausnahmezustand

Dick eingemummelt in eine warme Decke sitze ich vor meinem kleinen Häuschen und schaue auf das weit unter mir liegende Kathmandu-Tal. Heute erscheint es mir besonders schön! Unzählige bunte Lichterketten und Butterlampen schmücken die Häuser. Von weither dringt rhythmische Musik in meine Ohren. Während ich einen leckeren Tulsi-Tee genieße, lass ich die letzten drei Tage nochmal Revue passieren… Was für eine intensive Zeit!!!

Die Einladungen zum LichterfestTihar häuften sich, so dass es mir verdammt schwer gefallen wäre, eine gerechte Auswahl zu treffen. Für mich stand nur fest, dass ich in diesem Jahr das Lichterfest mal nicht wie die beiden letzten Jahre im Dorf, sondern in Kathmandu feiern möchte, um auch die dortigen Riten und Bräuche kennenzulernen. Und so nahm ich prompt die erste Einladung an, die aus der Hauptstadt bei mir eintraf – von Keshab aus dem kleinen familiären Hotel, welches mir in Kathmandu zum Zuhause geworden ist.

Voll bepackt mit einer Auswahl an Festgewändern machte ich mich am Mittwoch auf den Weg. Unterwegs besuchte ich Janaki, meine Lieblingsschneiderin, die mir meine Sari-Bluse noch im letzten Moment quasi auf den Leib geschneidert hat. Auch wenn es jetzt recht eitel klingen mag, so gehört es an solch einem großen Feiertag zum guten Ton und vor allem zum Respekt dem Gastgeber gegenüber, sich so schön wie möglich herauszuputzen.

Ich hatte das die letzten Jahre nie so wirklich ernst genommen, wollte ich mich auch unter den teilweise recht armen Menschen nicht zu auffällig und ‚teuer‘ kleiden. Aber ich habe hier vieles gelernt. So zum Beispiel auch, dass selbst die Ärmsten große Anstrengungen unternehmen, um an solch einem Fest gut auszusehn. So sparen die Frauen monatelang jede Rupie, um sich zum Beispiel einen neuen Armreif kaufen zu können. Dieser kostet zwar nicht mehr als eine Portion Reis, wird aber als ‚Statussymbol‘ stolz getragen.

Das kleine Hotel platzte schier aus allen Nähten, waren doch viele Gäste gekommen, um Tihar zu feiern. Normalerweise habe ich hier meist ein Zimmer für mich allein, dieses Mal teilte ich es mir mit Kristina aus Chile und einem Mädchen aus Japan. Da flogen die (Stoff-)Fetzen – das war die reinste Jugendherrbergsstimmung!

Um das Gesamtkunstwerk noch etwas zu pimpen und vor allem, um meinen neuen güldenen Pantöffelchen einen angemessenen Rahmen zu verleihen, zog es mich zur Maniküre/Pediküre. Natürlich kann man sich hier auch in einem ‚gehobenen‘ Spa verwöhnen lassen, zahlt dann aber entsprechend gehobene Preise. Um meine Reisekasse zu schonen entschied ich mich für ein kleines Studio in einen der verwinkelten Hinterhöfe. Das Mädchen an der ‚Rezeption‘ war so freundlich und nett, dass ich sie einfach nicht enttäuschen wollte. Sicher verirrt sich hierher nur selten ein Kunde.

Sie führte mich in den Behandlungsraum und wenig später fühlte ich mich ob der muffigen feuchten Luft ziemlich unwohl. Aber da war es schon zu spät, gemeinsam mit ihrer Kollegin machte sie sich bereits über meine Hufe her. Bei der trüben Funzel konnte ich glücklicherweise nicht sehen, ob das Besteck den hygienischen Standards entspricht. Die Mädels konnten aber offensichtlich auch nicht viel sehen und fuhrwerkten quasi im Blindflug an meinen Extremitäten herum. Wie sagte meine Oma immer? Wer schön sein will, muss leiden! Der absolute Brüller kam zum Schluss, als mich die Mädels aufforderten, mir die zu meinem Gewand passende Farbe Nagellack auszusuchen – das war wie Glücksspiel und ‚Blinde Kuh‘ in einem!

Den Weg zurück zum Hotel genoss ich sehr.  Ähnlich unserer Weihnachtsdekoration waren sämtliche Geschäfte mit Lichtern und Blütenketten geschmückt. Die gelben und orangefarbenen Tangetes hüllten das ganze Viertel in einen goldenen Schimmer. Vor den Geschäften und Haustüren gestalteten die jeweiligen Bewohner aus Farbpulver, Blütenblättern und Kerzen kunstvolle Mandalas. Diese sollen Laxmi, die Göttin des Glücks und des Wohlstandes anlocken und ehren. Ein mit brauner Farbe und symbolischen Fußstapfen gemalter Pfad zeigt Laxmi den Weg ins Haus, direkt zum jeweiligen Haustempel bzw. Opferschrein.

Auch im Hotel wurden gerade die letzten Handgriffe an diesem traditionellen Kunstwerk ausgeführt. Die Familienmitglieder wuselten aufgeregt umher und die Gäste hatten sich bereits vor dem Eingang versammelt, um der so bedeutungsvollen ‚Laxmi-Puja‘ beizuwohnen. Dazu werden vor dem Bildnis der Göttin Laxmi auf einem Tablett die schönsten Früchte, Ornamente, Geldscheine, Süßigkeiten etc. abgelegt, um sie zu ehren und um ihre Gunst zu werben.

Die Mädchen der Familie führten in ihren traumhaften Gewändern traditionelle Tänze zu Ehren der Göttin auf, in die wir Frauen dann später mit einstimmten. Auch wenn die Riten zu solch Feierlichkeiten recht streng geregelt sind, so ist deren Ausführung von einer wunderbaren Unkompliziertheit und Spontanität geprägt, die ich jedes Mal unendlich genieße.

Zu späterer Stunde fanden wir uns alle auf dem Dachgarten des Hauses ein, wo dann –zumindest für mich- das Unheil seinen Lauf nahm. Sabir und Anup brachten ihre Gitarren mit, Keshab drehte einen Joint nach dem anderen, Subash und Laxman hatten in der Küche leckere Snacks für uns vorbereitet, Wasser, Rum und Wodka standen bereit… Ja, so wird hier gefeiert!

Wenn man im November, spät abends auf dem Dach feiert, muss man schon dafür sorgen, dass man sich warmhält. Im dünnen Sari war Wärme von außen eher nicht zu erwarten, also rieten mir die Jungs, mich von innen zu wärmen. Man machte mir das Rumtrinken mit gesunden Zutaten wie Honig und Limone schmackhaft. Und für gesunde Ernährung bin ich immer offen!

Meine Reiseberichte sind stets von schonungsloser Ehrlichkeit geprägt. Deshalb will ich euch auch nicht verschweigen, dass bei mir nach zwei Stunden die Lichter ausgingen und ich nur durch ‚externe‘ Hilfe den Wegs ins Zimmer rein und aus dem Sari raus gefunden habe. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

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