Nepal sucht den Superstar

 

Ein ganz besonderer Höhepunkt für die Schüler der Bal Bikas Schule ist der alljährliche Gesangswettbewerb. Durch verschiedene Vorausscheide in den einzelnen Klassen wurden 15 Mädchen und Jungen nominiert, die gestern in einer groß aufgezogenen ‚Singers Competition‘ gegeneinander angetreten sind. Da ist es natürlich Ehrensache, dass ich diesem Spektakel beiwohne.

‚Sharp 1pm‘ hieß es in der Einladung und so war ich auch kurz vor 1 am Platz des Geschehens. Bei strahlendem Sonnenschein ging es dort noch drüber und drunter. Riesige Lautsprecherboxen wurden angekarrt, über 200 Stühle aufgestellt, die jungen Künstler bereiteten sich im Lehrerzimmer auf ihren Auftritt vor, zwei Gitarristen hatten ihre Instrumente bereits angeschlossen und machten einen ohrenbetäubenden Soundcheck. Die unteren Klassen nahmen nach und nach Platz und schnatterten um die Wette. Eltern und Verwandte gesellten sich dazu.

Die verantwortlichen Lehrer ließen sich durch nichts aus der Ruhe bringen und schafften es tatsächlich, mit nur 40 Minuten Verspätung die Show zu eröffnen. Suman hatte mich kurz zuvor noch eingeweiht, dass für die Schüler eine ganz besondere Überraschung geplant war. Wie es in Nepal üblich ist, werden zu Beginn jeder Veranstaltung die Ehrengäste begrüßt und mit einer Kata, dem weißen Schal, gewürdigt. Zuerst der Vater des Prinzipals und Gründer der Schule, danach der Prinzipal selber, jetzt war ich an der Reihe. Wenn schon die Kinder ihre Freude über unser Wiedersehn mit einem tosenden Applaus zum Ausdruck brachten, so war dies nichts im Vergleich zu dem Moment, als nun das Tor aufging und kein geringerer als Kamal Man Singh, ein berühmter Pop-Star, mitsamt seinem Gefolge den Schulhof betrat und am Pult der Jury Platz nahm.

Die Kinder waren schier aus dem Häuschen, bei den Nominierten steigerte sich die Aufregung jedoch nun noch mehr. Prakiti, eine der jüngsten Sängerinnen, begann mit einem nepalesischen Volkslied. Danach kam Phuntsok an die Reihe, der sich einen Pop-Song ausgesucht hatte. So bunt gemischt, wie die Schar der Kinder war, so bunt war auch die Auswahl an Liedern. Die Darbietungen wurden entweder live durch Gitarre oder durch Musik vom Band begleitet. Wenn auch die Technik nicht so recht funktionierte und manchmal nur ein Quietschen aus den Lautsprechern kam, so ließen sich die kleinen Künstler nicht beirren und sangen tapfer weiter.

Besonders berührt hat mich die Hingabe, mit der sie ihre Songs darboten. Dabei hat mich nicht nur ihr Gesangstalent beeindruckt, sondern auch die Reaktionen des Publikums. Wenn ich an so manche Situation in meiner Schulzeit oder der meiner Kinder zurückdenke, so fällt mir eher Schadenfreude und Gehässigkeit ein, wenn mal etwas daneben gegangen war. Man war verunsichert und hat sich nichts mehr getraut. Hier ist wirklich das totale Gegenteil der Fall. Die Kinder ermutigen sich gegenseitig und es wird solange probiert und wiederholt, bis alles klappt. Aufmunternder Applaus und neidlose Anerkennung der Leistung sind hier selbstverständlich.

Nach der ersten Runde wurden die „Top5“ ausgewählt, die einen weiteren Song zum Besten gaben, um zu einen Endergebnis zu gelangen. Ich sags euch, da waren echte „Rampensäue“ darunter! Auch Kamal war schwer beeindruckt von den nahezu professionellen Leistungen der jungen Künstler. Während die Jury ihre Entscheidung traf und die Urkunden ausgefüllt wurden, trat unter großem Beifall der Gewinner des Vorjahres auf.

Ganz ehrlich, ich hätte die Auswahl der Sieger nicht treffen wollen. Letztendlich hat meine heimliche Favoritin Sunama, ein ganz bescheidenes Mädchen, den Wettstreit für sich entschieden. Platz 2 erreichte Binod, der von den Mädels wie ein Star gefeiert wurde. Sarika sang sich mit ihrer zarten Stimme auf den 3. Platz.

Als die drei Preisträger ihre wohlverdienten Urkunden und eine kleine Statue aus den Händen ihres Superstars entgegennahmen, konnten sie ihr Glück kaum fassen. Natürlich wurden dann noch jede Menge Fotos geschossen. Jeder mit jedem und in allen möglichen Konstellationen, wie es sich gehört. Nur meiner Kamera war das alles zu viel und der Akku verabschiedete sich.

Nachdem der Schulhof geräumt war, lud der Prinzipal alle Ehrengäste zu einem Mahl ein. Wir waren 7 Leute, die auf zwei Autos verteilt wurden. Die Straßen sind hier im Dorf wirklich in einem katastrophalen Zustand. Nach wenigen Metern verhinderte ein Platten die Weiterfahrt. Zum Glück hatte ich meinen Scooter dabei, so dass ich eine Person auf den Rücksitz packen und das andere Auto mit 5 Insassen weiterfahren könnte. So der Plan!

Der Vorjahressieger wollte partout nicht auf meinem Rücksitz Platz nehmen und fragte mich mehrmals, ob er denn fahren kann. Wieso denn das? Er hatte schlichtweg Angst! Was soll das Theater? Ich hab schon länger den Führerschein als der Kasper überhaupt auf der Welt ist. Das Auto mit dem Rest der Truppe war schon längst abgefahren. Um des lieben Friedens Willen gab ich nach. Im Nachhinein betrachtet war es eine kluge Entscheidung. Der Kerl ist nämlich ein Riesenbaby, anderthalb Köpfe größer und nen Kopf breiter als ich. Und die Buckelpiste führte geradewegs steil nach oben, mehrere Hundert Höhenmeter hinauf zu einem Restaurant. Ich glaube, mein roter Flitzer hätte sich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Hinterbeine gestellt, wenn ich gefahren wäre.

Dieses Gartenrestaurant ist etwas ganz Besonderes hier in der Gegend. Hier werden nämlich Regenbogenforellen gezüchtet, die von den Gästen selber gefischt werden können. Drei der Jungs schnappten sich einen Kescher und versuchten ihr Glück, jedoch mit mäßigem Erfolg. Es war wohl schwieriger, als es aussah. Damit wir nicht verhungerten, musste der Küchenjunge einspringen. Irgendwie war mir nicht wohl bei der Sache, dass ein Fischlein vor meinen Augen nun sterben musste. Aber hier ist es auch ein Gebot der Wertschätzung dem Gastgeber gegenüber, alle angebotenen Speisen zumindest zu probieren.

Und die Speisen waren verdammt lecker! Während die Forellen für uns zubereitet wurden, kamen verschiedene Snacks auf dem Tisch. Marinierte Erdnüsse und gebratene Kartoffeln, Momos und Pickles sowie verschiedene Dips. Die obligatorische Flasche Wodka zum Aufwärmen durfte natürlich nicht fehlen. Schließlich war es mittlerweile schon früher Abend und die Kälte zog die Hügel hinunter.

Die Stimmung war einfach wunderbar. Irgendwann sagen wir zusammen nepalesische Popsongs und Volkslieder. Als Kamal dann mit seiner Whiskey-Stimme extra für mich ‚Summer of 69‘ und zum Abschied ‚Knocking on heavens door‘ sang, hatte ich Gänsehaut. Ich glaub, darum hätte mich so manches Mädchen hier beneidet. Was für ein herrlicher Tag!!!

 

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