Reisetagebuch Frühjahr 2014 – ‚Mein‘ Shivaratri

‚Mein‘ Shivaratri

 

Shivaratri ist der höchste Feiertag der Hindus, die heiligste Nacht des Jahres. Tausende von Pilgern kommen aus allen Teilen des Landes, sogar bis aus Indien, um den Gott Shiva zu ehren. Die größten Feste werden an diesem Tag in Pashupadinath gefeiert. Mehr als eine viertel Million Gläubige werden allein dort erwartet. Als ich vom Flughafen kommend an diesem Areal vorbeifuhr, konnte ich bereits die Festvorbereitungen sehen.

Mitten in der Tempelanlage thronte ehrwürdig eine mehr als 20 Meter hohe Nachbildung des Berges Kailash. Am Hang des Berges war ein Pilgerpfad markiert, der von den Gläubigen beschritten werden kann. Da ich schon einige Einblicke in die nepalesische Baukunst bekommen habe, konnte ich mir lebhaft vorstellen, wie es unter diesem stattlichen Pappmaché-Berg aussah. Geschweige denn, wie diese waghalsige Konstruktion unter der Masse der Gläubigen zu leiden hatte.

Was ich aber noch viel interessanter fand, ist die Tatsache, dass an diesem Tag im ganzen Gebiet hemmungslos gekifft werden darf, ohne dass die Ordnungshüter wie an den restlichen Tagen des Jahres einschreiten würden. Dazu noch die Sadhus in ihren grell orangefarbenen Gewändern, die sich während der Zeremonien bis auf einen Lendenschurz entkleiden und den kompletten Körper mit der Asche der Opferfeuer einreiben.

Dieses Spektakel konnte ich mir nicht entgehen lassen. Deshalb machte ich mich auf den Weg in die Hauptstadt und wollte dies gleich mit Wiedersehens-Besuchen bei meinen Freunden und Bekannten verbinden. Ich wurde dann allerdings schon in meiner Euphorie gebremst, als ich die endlosen Prozessionen in Richtung der Tempelanlage sah. Als mir dann Tashi auch noch davon abriet, weil sich selbst eingefleischte Nepalesen nur schwer aus diesem Gewimmel wieder herausfinden, beschloss ich, mir dieses dann doch lieber ein paar Nummern kleiner in Budhanilkantha anzuschauen.

Also konnte ich ganz entspannt meiner Besuchsrunde weiterführen. Als ich bei meinen blinden Freunden in der Massageklinik ankam, war ich erstaunt, dass Chiran, der Chef der Klinik, nicht im normalen Therapeuten-Shirt, sondern mit Hemd, Krawatte und Weste herausgeputzt war. Er erklärte mir, dass in wenigen Minuten ein Fernsehteam erscheinen und einen Bericht über die Klinik drehen würde. Also wollte ich mich schnell verabschieden und später nochmal vorbeischaun. Daraus wurde aber nichts, denn Chiran bat mich, dazubleiben und als langzeitige Klientin für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Hallelujah! Im Gammellook, mit zerzausten und vom Wind getrockneten Haaren und mit meinem leidigen Englisch konnte das nur ein Desaster werden. Aber unter guten Freunden, die wir im Laufe der Zeit geworden sind, schlägt man auch nicht grundlos eine Bitte ab.

Ehe ich mich versah, war das Kamerateam schon da und ich wurde verkabelt. Zum Glück waren es nur wenige Fragen, die ich zu beantworten hatte. Aber selbst bei den wenigen Sätzen hab ich mich bestimmt hoffnungslos blamiert. Egal, hier kennt mich ja keiner und meine Freunde waren happy!

Irgendwie nagte dann doch die Eitelkeit an mir, als ich in einem Schaufenster meine fragwürdige ‚Frisur‘ sah, und ich mir diese auf nem Großbild-TV vorstellte. Also suchte ich den Frisör meines Vertrauens auf und ließ mir mein Gefieder richten. Im Nachhinein hab ich über mich selber gelacht, denn diese verzweifelte Tat ist genauso sinnlos, wie wenn man langsamer fährt, nachdem man geblitzt wurde.

Auf dem Weg zum Figaro fiel mir eine Truppe wackerer Burschen in zünftiger Zimmermannskluft auf. Das können doch nur Deutsche sein, die auf der Walz waren! Wir kamen schnell ins Gespräch und ich sprang auch gleich als Fotograf für ein Erinnerungsfoto ein, das eine ebenfalls europäisch aussehende Frau mit den Jungs machen wollte. Sie war gerade auf dem Weg zum Flughafen und erzählte mir, dass sie auch für eine Zeit in einem Waisenhaus gearbeitet hat. Als ich sie nach dem Namen des Hauses fragte, bin ich fast aus den Latschen gekippt. Es gibt ja wirklich eine Menge solcher Häuser in Nepal und sie war ausgerechnet in dem, welches meine Nepali-Sister Sabine betreut. Dass die beiden sich kennen, war da natürlich klar. Und wieder bestätigte sich das Sprichwort ‚Die Welt ist ein Dorf‘!

Nach so viel Aufregung erschien es mir das Beste, frisch gestylt wieder zurück ins beschauliche Budhanilkanta zu fahren, um vor den abendlichen Feierlichkeiten nochmal kurz daheim vorbeizuschaun und ein paar warme Klamotten überzuziehn.

Im Dorf herrschte bereits eine ganz besondere Stimmung. Auf den Straßen und in vielen Gärten waren große Feuer entzündet worden, Gläubige waren reich geschmückt mit opulenten Opfergaben unterwegs zum Tempel, Kinder sperrten mit Stricken die Straßen ab und verdienten sich damit ein paar Rupien Wegezoll.

Ich hatte mich in der Zwischenzeit mit ein paar Leuten zur Shivaratri-Party in der ‚Clinic‘ verabredet. In meinem ganzen Leben habe ich noch keine Sachen konsumiert, die als Drogen im Sinne des Gesetzes bezeichnet werden. Hier jedoch lebe ich nepalesisch, ich esse nepalesisch, ich kleide mich nepalesisch. Da bin ich natürlich auch konsequent, was das Feiern anbelangt.

Nachdem die letzte Kundschaft gegangen war, wurde der Arzttisch zur ‚Tütenwerkstatt‘ umfunktioniert. Die Jungs gaben sich allergrößte Mühe, mich in die Geheimnisse des fachgerechten Tüten-Bauens und Bong-Stopfens sowie in den Genuss selbiger einzuweisen. Das Stillleben auf dem Tisch war ein Bild für die Götter. Zwischen Inhalator und Blutdruckmanschette lagen Grasspäckchen, Pfeifchen und Tabakhäufchen verteilt. Die Musik von Bob Marley passte zwar nicht zum Anlass,  dafür umso mehr zum Rahmen der Festivität. Irgendwann war nicht mehr auszumachen, wo es mehr qualmte – drinnen oder die Opferfeuer auf der Straße.

Fazit des Abends: Man kann auch ohne Alkohol verdammt gut feiern!

Bong-Stopfen auf dem Arzttisch

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