Reisetagebuch Frühjahr 2014 – Wandertag

Wandertag

 

Wenn man von den Hängen des Shivapuri hinunter ins Kathmandu-Tal schaut, wird der Blick magisch von einem majestätischen ‚Hügel‘ angezogen, auf dessen langgezogenem Kamm sich eine imposante Tempelanlage erstreckt – die Kopan-Monastery. Bereits im vergangenen Jahr wollte ich diesen Ort mal besuchen, hab es aber dann doch nicht geschafft. Deshalb sollte dieses Kloster das Ziel meiner ersten Wanderung werden.

Reine Luftlinie waren es nicht viel mehr als 5 Kilometer. Das stimmte mich optimistisch. Wie ich allerdings dahin kommen sollte, war mir rätselhaft, denn Wanderkarten gibt es hier im Dorf keine. Die Einheimischen, die ich fragte, deuteten nur vage in eine Richtung oder verwiesen gleich auf Bus oder Taxi. Okay, so schlau war ich auch, aber ich wollte ja laufen!

Also schlug ich die Richtung ein, die mir am erfolgversprechendsten erschien. Der Weg führte sanft bergab, bis ich die letzten Häuser von Budhanilkantha hinter mir gelassen hatte, nur um sich dann stetig nach oben zu schrauben. Durch die Serpentinen hatte ich leicht die Orientierung verloren. Als ich schnaufend auf einem großflächigen Plateau angekommen war, sah ich das Kloster wieder vor mir, allerdings auch nicht wesentlich näher.

Eine Herde Ziegen lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Die jungen Zicklein sprangen übermütig umher und störten die älteren Tiere beim gemächlichen Grasen. Wenn es einer Ziegenmutter gar zu bunt wurde, wurden mit einem gezielten Tritt die Jungen von der Milchquelle weggekickt. Ich sah in einiger Entfernung zwei Hirtinnen und versuchte, sie nach dem Weg zu fragen. Diese zeigten zwar in Richtung des Klosters, aber einen Weg konnte ich beim besten Willen nicht entdecken. Auf einmal setzte sich die Ziegenherde in Bewegung. Die Tiere verfügten mit Sicherheit über mehr Ortskenntnis als ich und so schloss ich mich der Meute an. Als diese dann allerdings auf einen mehr als hundert Meter tiefen Abhang zusteuerten und ich jedoch keinerlei Pfad vor mir sah, wollte ich schon umkehren. Am unteren Ende des Hangs konnte ich ein paar Häuser und ein paar Meter weiter sogar einen Weg sehen. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und kletterte den Hang hinab. So leichtfüßig wie die Zicklein bin ich ja nun wirklich nicht. Ich musste ganz schön aufpassen, dass ich nicht mitgerissen wurde, als die Ziegen mit Karacho den Hang hinuntergaloppierten.

Eins stand jetzt schon fest, für den Rückweg musste ich mir einen anderen Weg suchen. Aber alles zu seiner Zeit. Jetzt konnte ich erstmal den Pfad genießen, der mich durch kleine Siedlungen, vorbei an Feldern und vereinzelten Hütten und Ställen führte. Hühner und Enten wuselten über den Weg, stolze Hofhunde bewachten ihr Revier, Wasserbüffel waren vor den Ställen angebunden während Frauen und Kinder daneben auf einem ausgefransten Teppich Mittagsruhe hielten. Die Männer hatten sich am Dorfbrunnen oder vor einem Teehaus versammelt, um den neuesten Tratsch auszutauschen. Was ich hier sah war von einer Friedlichkeit und Entspannung geprägt, die ich noch nirgendwo so deutlich gespürt habe. Auch wenn ich die Augen vor der offensichtlichen Armut nicht verschließen und mir solch ein Leben nicht unbedingt vorstellen kann, so habe ich die Menschen in dem Moment echt beneidet. Alles hat seine Struktur, Bürokratie ist ein Fremdwort, es zählt nur das Jetzt und Hier.

In diese Dörfer verirrt sich wohl selten ein Fremder. Ich wurde neugierig beäugt und auf mein ‚Namaste‘ mit einem herzlichen Lächeln zurückgegrüßt. In einer kleinen Ortschaft entdeckte ich eine umzäunte Wiese, auf der unzählige Gestelle, ähnlich einer Staffelei, standen. Dies wirkte irgendwie futuristisch in dem doch recht traditionellen Umfeld. Ich beobachtete eine Weile die zwei Arbeiterinnen, wie sie die Gestelle mit großen Rahmen bestückten, die sie zuvor in einen Bottich getaucht und geschwenkt hatten. Na klar, das muss eine Papiermanufaktur sein! Hier also wird das wunderschöne Nepal-Paper hergestellt, das zu den verschiedensten Souvenirs und Gebrauchsgegenständen verarbeitet wird.

Nach einer Weile wurde der staubige Weg durch eine befestigte Straße abgelöst, die direkt auf den Kopan-Hügel zu und nun auch ständig bergauf führte. Wenn die Sonne doch einmal ein Loch in den Wolken gefunden hatte, brannte sie schon recht intensiv. Zum Glück gab es entlang der Straße immer wieder kleinere Läden, wo ich Wasser und ein paar Kekse kaufen konnte.

Schnaufend und schwitzend erreichte ich das Kloster Kopan und war beeindruckt von dessen Größe und Weitläufigkeit. Was vor über 40 Jahren mit einer Handvoll Mönchen begann, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem der wichtigsten und bekanntesten buddhistischen Klöster, welches jetzt knapp 400 Mönche beherbergt. Ebenfalls hat sich auf den Kopan-Hügeln ein großes und international bekanntes Meditationszentrum niedergelassen.

Von hier oben hat man einen beeindruckenden Blick über ganz Kathmandu. Die Boudha-Stupa und das Rollfeld vom Flughafen erschienen zum Greifen nah. Die Mandelbäumchen begannen zu blühen, Büsche und Bäume trieben neu aus und die Wiesen erstrahlten in saftigem Grün. Hier konnte ich so richtig die Seele baumeln lassen und Kraft tanken.

Die Zeit verging schneller, als mir lieb war. Ich musste ja den ganzen Weg wieder zurück und das bitteschön, solange es hell war. Die Taxis, die einige Touristen zum Kloster gebracht hatten, erschienen mir sehr verlockend, zumal mein böser Fuß sich schon wieder meldete. Aber wenn ich mir was vorgenommen hab, dann zieh ich das auch durch. Also Zähne zusammenbeißen und runter vom Hügel. Ich hatte ernsthafte Bedenken, als ich an den steilen Hang dachte, den ich vor einigen Stunden zusammen mit den Ziegen runtergeklettert war. Es muss doch auch noch andere Wege in Richtung Budhanilkantha geben. Mittlerweile war ich wieder auf dem Feldweg und teilte mit ein paar Kindern meine Kekse.

Da sah ich einen jungen Mann zusammen mit zwei Mönchen auf mich zukommen und fragte sie nach einer Alternative. Was für ein Zufall! Die Drei waren ebenfalls in mein Dorf unterwegs, um an einer Zeremonie teilzunehmen. Sie nahmen mich mit und führten mich durch Wiesen und ein ausgetrocknetes Flussbett auf einem Pfad, den ich niemals eingeschlagen hätte. Mir hing die Zunge schon sonstwo, aber ich wollte mir auch keine Blöße geben und unbedingt mit den Dreien mithalten. Irgendwann mussten wir einen Fluss überqueren und dabei mangels Brücke von Stein zu Stein hüpfen. Das ging ganz gut. Das nächste Hindernis, eine Mauer aus Feldsteinen, war aber für keinen von uns allein zu schaffen, außer wir nähmen einen größeren Umweg in Kauf. Ich war schon gespannt, wie wir das bewerkstelligen, denn Mönche dürfen ja eine Frau nicht berühren. Scheinbar waren die beiden aber noch nicht ‚vereidigt‘, denn sie packten ohne zu Zögern zu und halfen mir über das Hindernis hinweg.

Wir Vier gaben sicher ein tolles Gespann ab, denn die Leute schauten uns lachend hinterher. Nach nur einer reichlichen Stunde waren die Jungs am Ziel. Nun kam mir die Gegend auch wieder bekannt vor und ich fand mich gut zurecht. Die Sonne verschwand gerade hinter den Bergen, als ich keuchend mein persönliches ‚Base Camp‘ erreichte.

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