Zur Quelle des Bagmati

Wie heißt es so schön? ‚Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen‘ – oder in unserem Fall – auf den Berg hinauf! Gut gestärkt mit einem einfachen, aber doch nahrhaften Frühstück und ganz viel klösterlicher Energie begannen wir mit Chandra den Aufstieg.

Ein Blick zum strahlend blauen Himmel versprach herrliches Wanderwetter, unsere Laune und Motivation konnte nicht besser sein. Nach den ersten hundert steilen Steinstufen sah es zumindest mit meiner Motivation schon etwas bescheidener aus. Während Chandra trotz seiner schweren Kameraausrüstung leichtfüßig nach oben stieg, schnaufte ich bereits nach wenigen zig Höhenmetern wie eine alte Dampflok. Klar, die Nepalis sind es von Geburt an gewöhnt, sich weniger horizontal, als vielmehr vertikal durch ihr schönes Land zu bewegen, noch dazu in großen Höhen.

Ich wollte natürlich nicht als Weichei dastehen, zumal ich ja die Idee für diese Tour hatte. Also musste ich mir etwas einfallen lassen, um wenigstens ansatzweise mein Gesicht zu wahren. Glücklicherweise bot die wunderbare Natur genug Dinge, die einer genaueren Betrachtung würdig waren. Und so tarnte ich meine vielen nötigen Verschnaufpausen damit, Chandra mit einem verzücken Aufschrei auf ebendiese Blüten, Steine, Bäume, Insekten aufmerksam zu machen und diese ausgiebig zu fotografieren. Es dauerte nicht allzu lange, bis er dieses Spiel durchschaut hatte. Chandra trieb mich zwar nicht zur Eile an, machte mich aber dennoch auf unseren Zeitplan aufmerksam. Schließlich wollten und mussten wir noch am gleichen Tag zurück im Dorf sein.

Wenn man von der Anstrengung absieht, war der Weg ein Traum. Dieser führte über endlose Steinstufen durch üppige Rhododendronwälder, die allein in ihrem Blätterkleid schon imposant aussahen. Wie würde dies alles wohl im Frühjahr aussehen, wenn die Rhododendronblüte einsetzt und diese riesigen Waldflächen in Rot-Pink-Lila erstrahlen!

Bizarre Flechten und dicke Luftwurzeln hingen von den hohen Bäumen herab, Farne und Moose bedeckten den Boden, filigrane Spinnennetze schimmerten im Licht der Morgensonne. Ich hatte das Gefühl, in einem richtigen Märchenwald gelandet zu sein. Wir entdeckten noch eine Sorte einer spätblühenden Orchidee und veranstalteten mit dieser natürlichen Schönheit ein ausführliches Fotoshooting. Es war für mich faszinierend, Chandra dabei zu beobachten und dadurch viel von ihm zu lernen.

Die Tierwelt indes hielt sich an diesem Tag zurück. Bis auf ein paar Vögel und Spinnen war  nichts unterwegs. Es raschelte zwar oft verheißungsvoll im Gebüsch, aber für uns blieben diese Tiere verborgen. Auch mein heimlicher Wunsch, einen Leoparden vor meine Kamera zu bekommen, erfüllte sich leider, oder Gott sei Dank, nicht. Frische Dunghaufen, die mit Haaren durchsetzt waren, verrieten uns jedoch die Anwesenheit dieser Raubkatzen.

Nach über drei Stunden stetigen Aufstieg führten Stufen plötzlich steil nach unten. Ich bin froh über jeden hart erkämpften Höhenmeter und geb ihn ungern wieder her. In diesem Fall jedoch wurde der kurze Abstieg mehr als belohnt, denn dieser führte zu einem Platz, der mich vom ersten Moment an verzaubert hat. In dieser kleinen Senke herrscht allein schon durch die Nähe zu den Wolken eine entsprechend hohe Luftfeuchtigkeit. Alles, was wir hier sahen war mit einer mehr oder weniger dicken Moosschicht überzogen. Ein Plateau mit einem Lingam, dem Symbol Shivas, bildet die Pforte zu dieser ganz anderen Welt. Wieder ein paar Stufen tiefer befindet sich ein großes Wasserbassin, von dem aus der heilige Bagmati-Fluss unterirdisch gespeist wird. Die Quelle selbst befindet sich in der gegenüberliegenden Felswand und wird durch einen wasserspeienden Tigerkopf symbolisiert.

Rings um das Bassin und vor allem an besagter Felswand entlang sind verschiedenste Ritualgegenstände, Opferschreine sowie die Fruchtbarkeitssymbole Lingam und Yoni aufgereiht. Über der gesamten Tempelanlage flatterten unzählige Ketten mit Gebetsfahnen, bei denen ich mich immer wieder frage, wie es die Menschen geschafft haben, diese in solch halsbrecherischer Höhe aufzuknüpfen. Auch wenn wir den gesamten Weg über keiner Menschenseele begegnet sind, so verrieten uns frische Blumen und Räucherstäbchen, dass hier vor kurzem erst eine Opferzeremonie zu Ehren des Gottes Shiva stattgefunden haben muss.

An diesem magischen Ort hätte ich noch ewig verweilen können. Schöner konnte es auf dem Gipfel des Shivapuri gar nicht sein, zumal eine dicke Wolkenschicht die Aussicht auf eine gute Sicht zunichte machte. Quasi nur fürs Protokoll quälte ich mich die letzten hundert Höhenmeter bis zum Shivapuri Peak hinauf. Auch dieses Stück größtenteils auf steilen Steintreppen, die der Trekkingroute zu Recht den Namen ‚Stairway to Heaven‘ gegeben haben.

Ich dachte, ich seh nicht recht, als uns auf diesem Wegstück zwei ältere Frauen mit einem Guide entgegenkamen. Leichtfüßig, ohne ein Anzeichen von Anstrengung, nur mit einem Wanderstock bewaffnet, stiegen sie in ihren billigen Schlappen wieder nach unten. Da kann man schon mal Komplexe bekommen, während einem selber der Schweiß in Strömen über die Stirn rinnt.

Der Gipfel selbst war tatsächlich recht unspektakulär. Dichter Baumbewuchs verhinderte einen Blick nach unten, dicke Wolken den Blick auf die benachbarten Berge. Eine Gruppe junger Mönche hatte sich dort im Kreis vor der erst im letzten Jahr errichteten Statue des ‚Shivapuri Baba‘, des jahrelang auf dem Gipfel lebenden Gurus, niedergelassen. Sie zelebrierten eine kleine Puja mit Räucherwerk und Opferritualen. Während sich Chandra in Hoffnung auf eine kleine Wolkenlücke die Umgebung anschaute, beobachtete ich aus respektvoller Entfernung diese Zeremonie.

Bevor wir wieder abstiegen, teilte ich noch etwas Gebäck mit den Mönchen und knüpfte die mitgebrachten Gebetsketten, verbunden mit Bitten und Wünschen für Familie und Freunde, an die Überdachung der Statue. Und da bin ich wirklich stolz darauf, denn ‚meine‘ Ketten sind die ersten an diesem heiligen Ort. Kurz unter dem Gipfel legte ich auch, wie jedes Mal, einen Stein auf eine der vielen Steintürme, um die Götter der Berge zu ehren. Nach über zehn Stunden erreichten wir dann im Licht der Stirnlampe das Dorf.

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