Vor einer reichlichen Woche bin ich wieder wohlbehalten daheim in meinem Wilthener Basecamp angekommen – um ehrlich zu sein, nur körperlich. Erst jetzt kann ich sagen, dass auch meine Seele angekommen ist.
Ich kenne diesen Zustand von meinen Langzeitreisen nach Asien. Da brauchte ich oft Wochen, bis ich auch mental im europäischen Alltag gelandet bin. Ich war überfordert von hängenden Mundwinkeln vieler Alltagsgenossen und dem Überangebot an Waren im Supermarkt, von den Nachrichten in den Medien und der Bürokratie. Das ist aber auch normal, lebte ich doch stets mehrere Monate in einer ganz anderen Welt – einer Welt, die mir mit ihrer naturverbundenen Wertevorstellung sehr nah steht.
Dass ich jedoch nach meiner diesjährigen Motorradtour so lange brauchen würde, erstaunt mich selber sehr, zumal ich mein Heimatland gar nicht verlassen habe. Das zeigt mir, dass eine Reise nicht nach physischen Kilometern gemessen werden kann, sondern danach, wie weit man sich aus seiner persönlichen Komfortzone entfernt und auf die gegebenen Umstände eingelassen hat. Genau dies sind die Herausforderungen, die ich auf Reisen suche und denen ich mich stelle.
Und Herausforderungen gab es viele!
Da waren zum einen die Wetterkapriolen. In den ersten 2 Wochen bin ich aus meiner Regenkombi nicht rausgekommen. Natürlich hat es nicht rund um die Uhr geschüttet. Aber kaum hatte ich mich, durch klitzekleine Wolkenlücken ermutigt, der Regenkleidung entledigt, ballten sich wieder neue Wolkenberge zusammen, die sich schnell und heftig entleerten. Dazu kam in Küstennähe noch ein dermaßen stürmischer Wind mit Stärken 8 bis 9, der mich auf regennasser Fahrbahn so manches Mal fast von der Straße gedrückt hat. Und auch der Aufbau meines Zeltes auf Sylt bei diesem Sturm war eine echte Herausforderung.
In der letzten Woche war mir der Wettergott hold, zumindest was die Straßenverhältnisse anbelangte. Bei Regen hätte ich mich vielleicht gar nicht getraut, die steilen und kurvenreichen Alpenpässe zu fahren. Als ich jedoch am Walchensee in einen Stau geriet, der dann in einer Vollsperrung endete, musste ich mich verdammt zusammenreißen. Die Landstraße führt kilometerlang direkt am Ufer entlang. Die Urlauber tummelten sich nur wenige Meter neben mir im kühlen Nass, während ich bei 35 Grad in voller Montur auf meiner Lady hockte. Es half auch nichts, die Jacke und das Helmvisier zu öffnen. Da braucht es eine große Portion asiatischer Gelassenheit, um die Situation zu meistern. Aber Motorradfahren ist nun mal meine Leidenschaft – und bei Leidenschaft steht LEIDEN an erster Stelle.
Wer sich für eine ‚RE Classic‘ entscheidet, entscheidet sich damit auch unweigerlich für einen eher klassischen Fahr- und Reisestil. Dazu gehört für mein Verständnis u.a. auch der Verzicht auf ein Navigationsgerät. Meine Routenführung erklärte sich entsprechend meiner diesjährigen Tour ‚GRENZerfahrung‘ von selbst – immer an der Grenze entlang, entgegen dem Uhrzeigersinn. Ich hatte mir verschiedene Punkte/Orte herausrausgesucht, die ich unbedingt besuchen oder durchfahren wollte. Dabei hatte ich mir einen Grenzkorridor von maximal 30 Kilometern zugestanden, den ich nur in ganz seltenen Fällen ausgereizt habe.
Jeden Morgen plante ich meine Tagesstrecke und schrieb mir kleine Handzettel mit der Route. Da ich zumeist Landstraßen und Bundesstraßen nutzte und damit versuchte, weitestgehend jeden Zipfel der Grenze auszufahren, konnte ich nicht einschätzen, wie weit ich am jeweiligen Tag komme. So konnte ich die Planung der Unterkünfte auch nur maximal für einen Tag im Voraus angehen. Meist organisierte ich mir meine Unterkunft erst am späten Nachmittag. Die Herausforderung hierbei war das Budget. Aufgrund des Regens in den ersten Wochen habe ich nur einmal gezeltet. Das hat meine Reisekasse arg strapaziert. Also galt es, nicht nur eine Unterkunft zu finden, sie durfte auch eine gewisse Preisgrenze nicht übersteigen. Da musste ich mich schon auf so manchen Kompromiss einlassen.
Eine weitere Herausforderung war das Gepäck. Durch meine Reisen bin ich es gewohnt, mich in persönlichen Dingen sehr zurückzuhalten. Bei einer Motorradtour jedoch kommen etliche Kilo Gepäck allein durch Zeltausrüstung, Schmiermittel und kleinere Ersatzteile, Funktionskleidung und Technik zusammen. Auf Tagesrucksack, beide Satteltaschen und die Gepäckrolle verteilt waren das um die 37 Kilo, die jeden Tag auf- und abgesattelt und in die Unterkünfte geschleppt werden mussten. Um es mal bildlich auszudrücken – 4 große! Sixpacks mit Mineralwasserflaschen. Da kann man sich wenigstens das Fitnessstudio sparen, was ich als weiteren Vorteil des Motorradreisens ansehe.
An den meisten Tagen war ich 8-10 Stunden, manchmal auch 12 Stunden unterwegs. Das mag recht viel erscheinen, ist es aber nicht, wenn man die vielen Fotostopps und Besichtigungen berücksichtigt.
Rein statistisch kann ich meine Reise folgendermaßen zusammenfassen:
- Gesamte Strecke 5.392 Kilometer (davon 160 km außerhalb des Grenzkorridors, da ich einen Abstecher zu meiner Familie nach Erlangen gemacht habe)
- Dauer der Reise 23 Tage (davon 2 fahrfreie Tage zum Sachen trocknen und Familientreffen)
- Benzinverbrauch 159 Liter (das entspricht knapp 3 Liter/100 km)
- 5 Übernachtungen bei Familie und Freunden / 1 Übernachtung im Zelt / 16 Übernachtungen in Pensionen und Jugendherbergen
Diese Fakten spiegeln jedoch nicht einmal ansatzweise die verschiedenen Facetten dieser Reise wider. Unzählige Begegnungen am Straßenrand haben mich erfreut, verblüfft und berührt. Ich bin noch immer überwältigt von der Vielfalt der Landschaften, der Bauwerke, der Kulturgüter, der Handwerkskunst, die unser Heimatland zu bieten hat. Ohne Übertreibung kann ich sagen: Ich habe mich wieder neu in meine Heimat verliebt!
Vor allem aber bin ich erfüllt von tiefer Demut und Dankbarkeit.
Es ist nicht selbstverständlich, solch eine Tour durchzuführen und auch noch pannen- und unfallfrei zu überstehen. Auch wenn ich mich selbst als defensive, rücksichtsvolle und sicherere Fahrerin einschätze, so ist auch mir auf meiner Tour sicher der eine oder andere Fehler unterlaufen. Deshalb danke ich ganz besonders all den Verkehrsteilnehmern, die durch ihre umsichtigen und schnellen Reaktionen Schlimmes verhindert haben.
Wenn man über längere Zeit alleine unterwegs ist, freut man sich ganz besonders über Motivation und Anteilnahme von Freunden und Bekannten. Danke von Herzen allen, die ‚live‘ oder ‚virtuell‘ mit mir gereist sind und mir durch Zuspruch über das eine oder andere Tief geholfen haben.
Die ganze Tour hätte ohne meine Reisebegleiterin – meine „LADY“ – nicht stattgefunden. Ich bin sehr dankbar, dass sie sich in jeder Situation meiner Fahrweise angepasst und mir meine diversen Fahr-/Schaltfehler gnädig verziehen hat. Wir beide sind im Laufe der gemeinsamen über 25.000 Kilometer ein wirklich gutes Team geworden.
Und ich bin sicher, es werden noch viele gemeinsame Touren folgen!
Dieses Projekt wurde von der Ehrenamts-Stiftung der Stadt Wilthen unterstützt.
Hallo Michi,
ich habe Deine Tour verfolgt und Deine tollen Orte über FB mitbesucht.
Vielen Dank, liebe Kerstin! Und das war nur die ‚Spitze des Eisbergs‘. Aus all den Erlebnissen und Eindrücken entsteht wieder eine neue Live-Reportage. Vielleicht sehen wir uns ja dabei, ich würde mich sehr freuen! Liebe Grüße, Michi
Hallo Michi, das war toll.
Wenn du auftritts würde ich mich über eine Info sehr freuen.
Danke & Gruß
Bernd
Dankeschön, Bernd! Diese Reportage wird wohl erst Anfang nächsten Jahres Premiere haben. Bis dahin hat sich hoffentlich die Situation für Veranstaltungen etwas gebessert. Die Termine gibts dann hier auf der Webseite und auch bei Facebook.
Beste Grüße, Michi